Blutgasse und Heilige Hallen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 09/2014
Liebe Frau Andrea,
manchmal denke ich, die Wiener neigen besonders zu Rache und Revanche. Zum Beispiel, wenn ich höre: Der kommt no‘ in mei Gass’n. In welche Gasse, bitte schön? In die Blutgasse, die es ja in Wien wirklich gibt? Andererseits kennt man in den von Sarastro besungenen heil’gen Hallen die Rache nicht. Kann man ausschließen, dass die in Wien sind?
Mit besten Grüßen,
Ihr Mirko Burijan, per NSA-Archivalie
Lieber Mirko,
Wolfgang Amadeus Mozart und Emanuel Schikaneder, Komponist und Librettist der 1791 erstaufgeführten Zauberflöte haben in Figuren und Plot der Oper freimaurerisch-aufklärerische Motive verarbeitet. Die masonische Forschung interpretiert Mozarts letzte Oper als Kampf zwischen Licht (Aufklärung) und Finsternis (selbstverschuldete Unmündigkeit) und ortet die Identität des Lichtspenders Sarastro im damaligen geistigen Haupt der Wiener Freimaurer, dem Mineralogen Geologen und josephinischen Hofrat Freiherrn Ignaz von Born. Sarastro, Vertreter edelsten Menschentums, und seine Priester sind die Vorkämpfer von Weisheit, Schönheit und Stärke gegenüber dem von der Königin der Nacht personifizierten Reich der Finsternis und des Aberglaubens. Mozart hatte in der Wiener Loge “Zur neugekrönten Hoffnung” Emanuel Schikaneder, den späteren Autor des Librettos kennengelernt. Auch der deutsche Tänzer, Schauspieler, Jurist, Polarforscher und Mineraloge Karl Ludwig Giesecke, von dem Anregungen zum Textbuch stammten, gehörte Mozarts Loge an. Bei den Heiligen Hallen, in denen es keine Rache gäbe, wie Sarastro in der berühmten Arie singt, ist wohl an den Tempel der Freimaurer zu denken, beziehungsweise an seine Vorhallen und Begleiträume. Vorbild für diesen architektionisch-spirituellen Raum ist der Tempel Salomons. Sarastros Heilige Hallen dürfen im Sinne Ihrer Fragen (zumindest von mozartinisch-schikanederesker Seite) in Wien verortetet werden, wenngleich die masonische Forschung von einer baldigen lokalen Eintrübung der postulierten Idealverhältnisse berichtet. Auch die Gasse, in der ein Übelwicht sprichwortgemäß irgendwann komme, darf in Wien verortet werden. Nicht notwendigerweise muss es die Blutgasse sein. Mittlerweile stehen auch Aufgeklärten subtilere Methoden der Rache zur Verfügung. Literatur etwa.
www.comandantina.com dusl@falter.at
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27.2.2014
Liebe Frau Andrea,
verehrte Comandantina!
Ihre Ausführungen zu Sarastros heil’gen Hallen habe ich wie immer mit Genuss und Belehrung gelesen.
Ein Einwurf allerdings zur „Gassn“, in die jemand noch kommen werde: Als bekennender Bildungsbürger habe ich den starken Verdacht, dass dieser Ausdruck auf das legendäre Zitat aus dem „Wilhelm Tell“ zurückgehen könnte, nach dem „kein andrer Weg nach Küßnacht“ führt.
Nicht denkbar?
Mit freundlichen Grüßen
Christian Goldstern
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1.3.2014
Lieber Kollege Goldstern,
vielen Dank für diesen wertvollen Hinweis!
Sehr leicht möglich, dass hier Schillers Stück
entscheidenden sprachlichen Einfluss ausgeübt hat!
Beste Grüße,
Andrea Maria Dusl

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