Starkregen aus Schuhmacherlehrlingen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 40/2013
Liebe Frau Andrea,
wieso regnet es in Wien Schusterbuben, wo es in England cats and dogs regnet oder in Frankreich wie eine Kuh schifft, comme vache qui pisse. Frag’ mich das schon lange, weil in Frankreich lebend natürlich alle danach fragen.
Beachy (Andrea Bacher),
la Palud sur Verdon, per Smalt
Liebe Beachy,
auch hierorts wird starkem Regen mit Begrifflichkeiten der Miktion, des Abschlagens von Harn oder Urin begegnet. Allerdings schifft im deutschsprachigen Raum nicht die Kuh, sondern die anonyme Entität ‘es’. ‘Es’ schifft, wenn ‘es’, um eine körperferne Formel zu bemühen, aus Schaffeln giesst, aus Eimern schüttet. Wieso aber regnet es bei uns Schusterbuben? Das Strassenbild des alten Wien kannte die Gestalt des “Schuastabuam”, des schlagfertigen und kecken Lehrjungen eines Schuhmachers oder Schusters. Der Schuastabua war ein lautstarker Frechdachs, mit einer blauen Schürze angetan, trug er ein Stiefelpaar über der Schulter und schritt frohgemut und laut pfeifend durch Gassen und Strassen. (Jörg Haider darf übrigens als später, aber echter Schuastabua gelten, war doch der Vater des Goiserer Phaetonlenkers Schuhmacher gewesen.) Mit Regengüssen hat die historische Figur des Wiener Schuastabuam allerdings nichts zu schaffen gehabt. Bei ‘typisch wienerischen’ Ausdrücken ist immer auch an Synonym-Migration aus anderen metropolitanen Sprachgegenden zu denken. Mit einiger Wahrscheinlichkeit kommt die Verbindung von Schusterlehrling und Platzregen denn auch aus dem Berlinerischen. Wenn sich dort die Schleusen des Himmels öffen, regnet es ‘Schusterjungen’. Für Berliner Ohren ist diese Redewendung leicht verständlich, bezieht sie sich doch auf ein typisches Berliner Gebäck – ein semmelgrosses, schweres Brötchen aus Roggenmehl, das ‘Salzkuchen’ oder ‘Schusterjunge’ genannt wird. Ein sehr ähnliches Handgebäck gibt es auch bei uns, das Schusterlaibchen – Schuastalabal ausgespochen, nicht jedoch die spezifische Verbindung mit dem Regenguss. Wenn es also Schusterbuben, Schusterjungen regnet, fallen nicht kecke Lehrlinge vom Himmel, sondern Tropfen in Brötchengrösse. Katzen und Hunde, wie sie die atlantischen Wolken Albions zu regnen vermögen, bleiben uns hingegen erspart.
www.comandantina.com dusl@falter.at

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