Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 39/2013
Liebe Frau Andrea,
sicher kennen Sie das ungute Gefühl, sich an sowas Lächerlichem wie einem Blatt Papier zu schneiden. Aber nicht genug damit, die Papierwunden tun auch noch höllisch weh! Mehr jedenfalls als Schnittwunden mit dem Messer. Wieso eigentlich?
Liebe Grüße,
Bärbl Fröhlich-Nowak, Neubau
Liebe Bärbl,
wir alle kennen die schrecklichen Momente, in denen harmloses Kopierpapier oder freundliche Buchseiten in samuraischwertscharfer Weise unsere Fingerballen und die Flanken und Rücken unserer Finger zerteilen. (Ein verwandtes Selbstbeschädigungsmuster tritt beim Ablecken von gummierten Kuvertlaschen auf.) Es sind rasche, unbedachte, tangentiale Bewegungen, die zum Schnitt an einer Papierkante führen – in den Momenten der Pein, die nun folgen, sind sie uns die Bewegungsmuster allzu bewusst. Warum aber schmerzen diese meinst kleinen und oberflächlichen Wunden so sehr? Unsere Fingerballen (hier treten Papierschnittwunden am häufigsten auf) sind ein Kompromiss aus hoher Sensibilität und maximaler Festigkeit. Die Ausrichtung von Kollagenfasern in der Fingerballenhaut bietet relativ wenig Schutz vor starken Scherkräften. Ein Blatt Papier mag uns weich und biegsam erscheinen, durch seine Dünnheit kann es aber hohen Druck auf kleinste Fläche ausüben, ausreichend jedenfalls, um die Schärfe von Rasierklingen zu entwickeln. Während Metallklingen meist tief in das Gewebe eindringen und glatte Wundränder erzeugen, zerreisst Papier die Haut eher, als dass es sie zerschnitte. Papierkanten dringen auch weniger tief ein, Nerven und Schmerzrezeptoren werden eher angerissen als glatt durchschnitten. Durch die fehlende Tiefe blutet eine Papierschnittwunde zudem wenig oder garnicht, die mit Blutung verbundene Ausspülung der mikroskopisch verschmutzten Wunde findet kaum statt, die vom Blut induzierten Wundheilungsprozesse setzen nicht oder nur sehr langsam ein. Okeydokey, es ist passiert, es tut ‘mörder weh’, was ist zu tun? Eine fabelhafte Idee – manche von uns machen das intuitiv – wäre, die Wunde durch Druck auf das umgebende Gewebe zum Bluten zu bringen. Ein Tropfen Beta-Isodona und ein kleines Pflaster sollten genug desinfikatorischen und mechanischen Schutz für ein angenehmes Weiterleben nach dem schändlichen Schnitt bieten. Und ja – Vorsicht ist die Mutter des Kopierpapierstosses! www.comandantina.com dusl@falter.at