Das Mysterium der französischen Botschaft

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 22/2013
Liebe Frau Andrea,
bitte um Beantwortung der Frage nach dem Wahrheitsgehalt folgender Wiener ‘urban legend’: Wurden die Pläne für die französische Botschaft am Schwarzenbergplatz wirklich mit denen für dieselbe Bauaufgabe in Istanbul vertauscht?
Peter Bleier, Wieden, per Smalt
Lieber Peter,
die Geschichte von den vertauschten Bauplänen ist so glaubwürdig wie gut erfunden. Das Botschafts-Palais der Französische Republik, in bester Lage am Wiener Schwarzenbergplatz gelegen, wurde zwischen 1900 und 1909 nach Entwürfen des Pariser Architekten Georges Chedanne errichtet. Ein Beispiel für dessen schwülstig-operettenhafte Baukunst im Stil des Art Nouveau liegt im Stammhaus der traditionsreichen französischen Kaufhauskette Galeries Lafayette vor. Die ästhetische Anmutung der neu errichteten Botschaft wird als “Hommage an den Wiener Jugendstil“ kolportiert, Zeitgenossen nahmen das Gebäude ganz gegen die Intentionen von Bauherrn und Architekt als Provokation und Tempel des schlechten Geschmacks wahr. Die Vertauschung der Pläne hat wenig Evidenzen – das Botschaftsgebäude Frankreichs in Istanbul (heute die Residenz des Generalkonsuls) steht zum inkrimminierten Vertauschungszeitpunkt längst, es wurde 1839 bis 1847 von Pierre Laurecisque im Istanbuler Stadtteil Pera errichtet. Grundlage des Gerüchts scheint eine Verbringung des Mobilars der alten Botschaft der Republik Frankreich in Österreich zu sein. Die Inneneinrichtung des Palais Lobkowitz – es war 1869 bis 1909 Sitz der französischen Botschaft – passte besser in das, im Louis-Philippe-Stil errichtete Palais Pera in Istanbul, das neue Mobiliar für Wien war noch nicht fertig. Weitere Nahrung für das Gerücht von der Bauplanvertauschung darf man in der Spedition der Einrichtung des Bauplanungs-Büros vermuten. Dies ist wenig verwunderlich, leitete doch Chedanne, Architekt der Botschaft in Wien auch die Renovierung des Palais Pera in Istanbul. Wir fassen zusammen: Vertauscht wurde nichts. Die Wiener Möbel stehen in Istanbul. Stilkritisch darf angemerkt werden, dass Chedannes Gebäude am Schwarzenbergplatz weniger wie die Französische Botschaft in Konstantinopel aussieht, denn wie die Weissrussische am Eingang zum Wiener Wurstelprater.
www.comandantina.com dusl@falter.at

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