Die Landesmutter

Andrea Maria Dusl für Standard, 3.5.2011.

Die Heilige Hemma von Gurk, die Heilige Waltraut Klasnic von Steiermark, die Heilige Gabi von Salzburgstaller. Landesmütter allesamt. Sobald eine Frau bei uns in den obersten Landessessel klettert, wird sie zur Heiligen, zur Mutter aller Mütter, zur Mutter des Landes, zur Landesmutter. Das Klettern einer Frau in den Polsterdrehsessel eines Mannes, eines Hauptmannes, eines Landeshauptmannes ist ein dermassen seltenes Ereignis, dass dafür Begrifflichkeiten bemüht werden, die aus dem Mystisch-Sakralen kommen. Viele werden Mütter, wenige werden Landesmütter. Das hat weniger mit Mutterschaft als mit Macht zu tun. Lady Di, eine anorektische Kindergärtnerin war so hübsch wie machtlos. Sie blieb eine Lady und wurde maximal zur Mutter der Herzen. Mutter des Landes wurde Diana Spencer nie.

Aber Macht ist noch nicht Mutter. Nicht in den Nebelschwaden des Mystischen. Nie würde die Chefin der, sagen wir einmal, Nationalbank, als Nationalbankmutter apostrophiert werden, oder die Elektrokonzernchefin als Elektrokonzernmutter. Nie. Die Mutterschaft als heiligmässiger Machttitel bleibt der Hauptfrau vorbehalten. Der Landeshauptfrau. Der Frau Landeshauptfrau. Der Frau Landeshauptmann, wie es auch schon hiess. Die Landessprache wird bei landeshoheitlichen Amtsbezeichnungen, auch wenn das Gegenteil behauptet wird, mit grosser, aber individueller Präzision eingesetzt. Waltraut Klasnic legte enormen Wert darauf, mit “Frau Landeshauptmann” angesprochen zu werden. Gabi Burgstaller, eine Gabi und keine Gabriele, noch im Amt und nicht abgesägt, verfolgt ein anderes Selbstverständnis ihrer Melange aus Frau und Regierungschefin. Sie nennt sich in ihrer Funktion Landeshauptfrau. Frau Landeshauptfrau. Man wird sehen, ob einer der männlichen Nachfolger es Waltraut Klasnic einmal gleichtun und sich, das Präjudiz gäbe es, Herr Landeshauptfrau nennen wird. Dem scheinbaren Souverän, dem Volk, dem Landesvolk sind diese Überlegungen gewiss so unheimlich wie rätselhaft. Schon eine Frau auf einem Landeshauptmannsessel, selbst wenn dieser gerade als Landeshauptfrausessel in Erscheinung tritt, verwirrt die Landeseinzelne, verwirrt den Landeseinzelnen.

Worin besteht das Mysterium der Landesmutter? Die Landesmutter sitzt wie eine Termitenkönigin im weitverzweigten Landesbau und legt in grosser Fleissigkeit Landeier. Projekte und Projekterln. Fleissig nährt die Landesmutter Projekte und Projekterln mit Subventionsnektar aus ihrem mächtigen und prallgefüllten Landesmutterleib. Bestellt Wächter und Boten, Ausrufer und Verkünder, Aktenblätterer und Bestempler, Projektstreichler und Nektarumrührer. Dazwischen tätschelt die Landesmutter die Köpfe der Landeskindergartenkinder, durchsticht Landestunnels, sichert die Ränder eingestürzter Pingen, beschreitet Landesstrassen, klatscht auf Landesbühnen, staunt in Landesmuseen und lässt das Wasser ein in grossen und sauberen Landesschwimmbädern. Und manchmal legt die Landesmutter die Stirne in Falten und richtet den Gesinnungsgenossen in der Bundeshauptstadt ihre Position zu diesem und jenem mit. Mit kritischem Gestus und ernstem Ton. Manchmal und bisweilen. Je nachdem. Den Damen und Herren im Bund. Wo es keine Mutter gibt. Keine Bundesmutter. Nur Maria Theresia selig.


Andrea Maria Dusl ist Filmemacherin und Autorin. Zuletzt erschien im Residenz Verlag ihr Roman “Channel 8”.

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