The Channel 8 Diaries ::: Piterlife

Fünf Tage sind vergangen, und es scheint mir, als hätte ich nie geschlafen, wäre schon ewig da und wäre jede noch so versteckte Strasse Petersburg mindestens achtmal abgegangen. Dem ist aber nicht so, denn ich komme immer wieder in Petersburger Weltgegenden, die ich noch nicht kenne.

Konenkos.jpgSamstag habe ich meine Freunde, die Konenkos getroffen, in ihrer mit Bildern, Büchern und Platten zugespachtelten zwei-Zimmer-Wohnung, die eigentlich Teil eines von sieben Salons einer Patrizierwohnung am Newski ist. Bei den Konenkos ist es gemütlich, es gibt Tee und viel Filmsprechen. Juri ist Filmkritiker und Festival-Katalog-Autor.

Sonntag ist Falter-Kolumnen-Schreibetag, Bilderordentag, Telefoniertag, Planungstag.

mailen und Surfen geht hier bei mir am Hotelzimmer so: Ich hol mein Powerboook aus dem Versteck, schalte bluetooth ein. Am Handy suche ich den Telefoncompany „Megaphon“ und stell auch dort bluethooth auf „on“. Dann klicke ich „verbinden“ und das Apple-Titanium wählt sich ins Internet ein.

Alle vier Minuten geht die Verbindung tschari, und das ganze von vorne. Ohne Laptop-aus-dem-Versteck-holen natürlich.

Majakovskaja.jpgMontag gehe ich kreuz und quer durch die Stadt. Im Videoladen sucht mir Juri Konenko russische Filme aus. Die DVDs kosten hier drei Euro, die CDs drei bis vier. Der lange Arm der amerikanischen Unterhaltungsindustrie endet an der russischen Grenze. Alitschna!

Dienstag treffe ich eine wunderschöne, zauberhafte Freundin. Nastja kenne ich seit sechs Jahren, sie studiert Englisch in einem IInstitut an der Moika. Die Moika ist einer der Kanäle, die Petersburg durchziehen. Um das studieren zu finanzieren, jobbt Anastasija am Chanel-Stand von einem High-Class-Laden für reiche Russinnen. Davon können sie und ihre Mama die Schulden zurückzahlen, die sie bei ihren Verwandten haben. Und die Miete geht sich auch aus. 1000 Rubel kostet die winzige Wohnung pro Monat, das sind 30 Euro. Und das ist hier verdammt viel.

Gegenüber vom Moskauer Bahnhof ist eine Metrostation, die wie ein runder Tempel aussieht. Von dort soll ich die Linie eins zur Station Polytechnetschkaya (o.s.ä.) nehmen. Ich steige in der falschen Richtung ein und muss wie beim Monopoly noch einmal über Start. Draussen in der Vorstadt, in den Plattenbausiedlungen wohnt Nastja, sie holt mich von der Metrostation ab. Wir kaufen Lachs, Tee, Kekse und Milchshake in einem sehr westlichen Supermarkt. Am Weg zu Nastjas Haus steht das Kybernetische Institut, ein Bau als hätte jemand im Computer das Sojus-Raumfahrt-Programm mit einem gotischem Kirchturm gemorpht. Am Weg nach Nastjas Hause kommen wir an einem Ziegelteich mit Strand vorbei, etwas fleckig sieht es dort aus. Dann durch ein kleines Birkenwäldchen, das sich aus den ausgebüchsten und zu gross gewordenen 60ties-Gartenbäumchen vor den zweistöckigen Häusern rekrutiert. Nastja wohnt mit ihrer Mutter, die gerade in der Bank ist und arbeitet. Die Wohnung im Erdgeschoss ist etwas abgeschrammt aber sauber wie ein junges Kätzchen.

Nastja bringt uns mit dem Shuttle-Bus rüber auf die Petrograder Insel. In so einem Shuttlebus – ein mittelgrosser Kastenwagen von Transit-Grösse haben genau 11 Leute Platz. Die Passagiere sitzen wie in einem kleinen fahrenden Kaffeehaus. In der „Englischen Bäckerei“ gibt es die besten Mehlspeisen und Torten Europas. Ich lüge jetzt nicht: Die besten von Europa. Der Laden sieht aus wie eine Kleinstadtkonditorei, aber vor den Mehlspeisen hier kann der Demel einpacken.

Nastja-Lounge.jpgAm Abend landen wir wieder am Newski in einem ultraschicken loungoiden Fortgehcafé. Dunkelbrau und weiss. Design dieser Güte würde man in Paris und Manhattan vermuten. Nicht in Russland. (Bild kommt noch!)

Dazwischen: Recherche in Apotheken, Apotheken, Bussen, Apotheken, Busen, Apotheken, Metrostationen, Brückenwärterhäuschen. Meine Ixus ist nach 700 Bildern randvolll. Und meine Hirn schwappt über von Nastjas Russlandbetriebsanleitung.

Mittwoch morgen treffe ich die Konenkos unten in der Hotelhalle, feuchter Regen hängt über der Stadt. Wir fahren zum Kaufhaus Gostiny Dvor und den Innenstadtparks um für die „Talking People“ in „Channel 8“ zu recherchieren. Mein Plan: Ich möchte an zwei Tagen 100 Leute interviewen, auf der Strasse, in Parks, in Geschäften. Vom kleinen Kind bis zur Babuschka, vom Bomsch (so heissen hier die Sandler) bis zum General. Wir sprechen mit 45 Leuten, und da sind schon arge Schicksale dabei, harte Sachen, aber auch aberwitzige und schreiend unspektakuläre Alltagsschicksale.

Morgen kommen die nächsten 54 dran. Uff. Tippen auch noch. Und alles muss durch mein kleines Handy durch um auf der Comandantinaseite zu landen!

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