Der beste Garten der Stadt

SCHWEIZERHAUS Das beste Bier der Welt und die knusprigsten Stelzen zwischen Scheibbs und Nebraska, serviert von den unbestechlichsten Kellnern der Stadt: Das Schweizerhaus im Prater hat eine lange und durchaus unhelvetische Geschichte.
© ANDREA MARIA DUSL
Originaltext aus Falter. 32/04 vom 04.08.2004
Schweizerhauscover 04_32.jpgIm hintersten Zipfel vom Wurstelprater, gleich hinter der Hochschaubahn, wo der Technotrubel der Schießbuden, das Knattern der Go-Cart-Bahnen und das Kreischen der Luftkutschen verebbt, beginnt eine Welt, der lüsterne Sensationen so fremd sind wie der polternde Lärm rasender Maschinen. Im Schatten von Nussbäumen und Praterkastanien vermischt sich das Knirschen des Kieses mit dem Klirren dicker Gläser und dem Krachen berstender Schweinshaxen.
Bis zu 6000 Krügerl seidigweich gezapften böhmischen Bieres sollen hier allein an einem heißen Sommertag über die stählerne Schank gehen, ganz abgesehen von Würsteln, Brathendel und den Stelzen, gegrillt, mit Senf, beißendem Kren, dampfendem Brot und weiß gelocktem Bierradi.

Das Schweizerhaus. Die Kathedrale der Zufriedenheit

Hier sitzen Bürgermeister neben Mistküblern, Dirigenten neben Fußballtrainern, Industriemagnaten neben Praterdipplern. Ein Regiment von Kellnern serviert unablässig goldgelbes Budweiser. Der Altar der Schweizerhauskathedrale ist die große stählerne Schank. Hinter ihr steht ein halbes Dutzend Hohepriester und zelebriert mit stoischen Mienen das Hochamt. Einige Minuten dauert es, >>>


>>> bis die Krügel voll sind und ihre feste böhmische Schaumhaube in den Sommerwind recken. Im Dutzend werden sie auf einem Tresen von Zapfer zu Zapfer weitergeschoben. Der Reihe nach wird das kühle Gold erst vor-, dann nach- und schließlich aufgeschenkt. Dazwischen hat der Schaum Zeit, sich zu setzen. Das Pivo, das die tschechischen und slowakischen Schankspezialisten in einem minutiös eingespielten Ritual aus den Hähnen laufen lassen, kommt über Leitungen aus einer Armada von 50-Liter-Fässern, die im Keller unter dem wand- und fensterlosen Schankgebäude konstant auf vier Grad gekühlt werden. In Kellern daneben hat der Nachschub, täglich aus der Brauerei in Budweis in aufrüttelnder Fahrt angeliefert, einige Tage Zeit, um sich zu beruhigen.
buds.jpgDas frisch gezapfte Bier wird von einem der vielen Kellner an der Schank abgeholt und in einen „Bezirk“ gebracht. Die verschiedenen Teile des Schweizerhauses sind nach Wiener Bezirken und den Stadtteilen Oberlaa und Kaisermühlen benannt. Das soll Gästen und neu angestellten Kellnern die Orientierung erleichtern. Die Idee, die Sektionen nach Schweizer Kantonen zu nennen, wurde als Sakrileg verworfen. „Unsinn, am Schweizerhaus ist ja nichts Schweizerisches!“, argumentierten Altkellner und Stammgäste und machten sich dafür stark, böhmische Städtenamen zu verwenden. Als Kompromiss wurden es die Namen der Gemeindebezirke. Einzig der Platz vor der Schank, von einem regenwasserberieselten Glasdach behütet, heißt nach wie vor „Bahnhof“, „Franz-Josefs-Bahnhof“, um ganz genau zu sein. Weil hier so viele „Züge“ genommen werden.
Hartnäckig hält sich der Mythos, die Schweizerhauskellner seien freie Unternehmer, die das Bier an der Schank kauften und an den Tischen an die Gäste weiterverkauften. Tatsächlich sind die Kellner aber zu den branchenüblichen Konditionen angestellt, ergiebige Bezirke werden nach dem Senioritätsprinzip zugeteilt.
Wie viele Geschichten aus dem alten Wien verlieren sich auch die Ursprünge des Schweizerhauses im Dunkel der Geschichte. Ein Gründungsmythos geht so: Vor Hunderten Jahren habe am Ort der heutigen Budweiserkathedrale ein „stiller Mann“ Steckerlfische, Schwammerl und Bier an die rastenden kaiserlichen Jagdknechte verkauft. Die Knechte – so die lokale Mythologie – waren Schweizer aus dem Sundgau, gerühmt für die Qualität und Ausdauer ihrer Treibkünste. Aus dieser Zeit stamme der Name Schweizer Hütte.
Im 18. Jahrhundert übernahm ein gewisser Cajetan Gasperl, ein geschäftstüchtiger Wirtensohn aus Mitterndorf im Ausseerland die „Schweizer Hütte“, taufte sie, dem Zeitgeist folgend, „Tabakspfeife“ und huldigte damit den Freunden „des süßen Qualmens“. Nach Gasperls Tod verkaufte seine Witwe das Etablissement, das während des Wiener Kongresses „Zum russischen Kaiser“ hieß. Während der Weltausstellung 1873, als Themenrestaurants als letzter Schrei galten, erfand man den Mythos mit der Jausenstation der mittelalterlichen Schweizer Jagdknechte und taufte die im hochalpinen Helveterstil designte Gaststätte am linken Ufer der Prater Hauptallee Schweizer Meierei.
Ein populärer Besitzer dieses ersten wirklichen Schweizerhauses war der Wirt vom Alten Kühfuß in der Habsburgergasse, Jan Gabriel, unter dem das Schweizerhaus ein Treffpunkt aller Freunde echten Pilsners wurde. Zu dieser Zeit übertraf der Bierkonsum der Wiener jenen des Weines bei weitem. So mancher Firmgöd hat sich dort einen Rausch angetrunken. Einer, der nicht selber trank im Schweizerhaus, war der Wärter der Säugetierschaustellung im Aquarium: Er holte pünktlich um zehn Uhr vormittags drei Krügel für seine Affen, welche diese mit sichtlichem Behagen getrunken haben sollen.
1920 juckt einen jungen Wiener die geschäftstüchtige böhmische Nase. Der neunzehnjährige Sohn tschechischer Eltern, Karl Kolarik, mit seinem Vater eben noch selber Gast im Schweizerhaus, übernimmt den gerade zum Verkauf stehenden Betrieb als Konzessionär. Vater Kolarik, Fleischhauermeister, sieht in einem Wirtshaus einen willkommenen Absatzmarkt für die Würste und Schinken, die der Familienbetrieb zu Zeiten der Monarchie noch bis Prag geliefert hatte. Inflation und Wirtschaftskrise schütteln die junge Republik, und so manchem stillen Bierzecher ist ein Besuch im Biergarten die einzige Freude. Karl Kolarik hat ein G’spür fürs Geschäft. Der gelernte Fleischer und Selcher errichtet Wiens „Erste englische Fischbratküche“ und einen Pavillon, „wo die berühmten Wiener Würsteln und Bratwürsteln vor den Gästen erzeugt werden“, wie ein zeitgenössisches Inserat erklärt.
So nebenbei führt Kolarik eine andere Spezialität ein: fein geschnittene Erdäpfel, die berühmten, in heißem Fett herausgebratenen Rohscheiben. Die dünnen Kartoffel-Chips waren ursprünglich nur dazugeschnitten worden, um in Ermangelung geeigneter Thermometer die Temperatur des heißen Fischbratfetts zu justieren. Jahrzehntelang prangte denn auch das Gütesiegel eines US-amerikanischen „Potato-Chip-Institute“ auf den Zellophanpackerln, in denen die Rohscheiben verkauft wurden. Die köstlichste Delikatesse aber, das berühmte Budweiser Budvar, verdankt das Schweizerhaus einer Reise Kolariks in die böhmische Heimat seiner Eltern.
In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg hatten die nationalistischen Tschechen als eine der ersten Maßnahmen ihrer jungen Republik den Bierexport verboten – weil sonst für die böhmischen und mährischen Arbeiter zu wenig übrig bliebe, wie es hieß. Dieser Bierverknappung fiel die Pilsner Bierklinik in der Innenstadt zum Opfer. Sie musste auf obersteirisches Bier umsteigen und ihren Namen in Gösser Bierklinik ändern.
Dem Verbot tschechischen Bierexports verdankt das als Bud bekannt geworden Budweiser der deutsch-amerikanischen Bierdynastie Anheuser-Busch seinen zweifelhaften Siegeszug durch die von der Prohibition geschüttelte Neue Welt. Mit dem echten Budweiser hat das Anheuser-Busch-Bud allerdings nur den abgekupferten Namen gemeinsam.
Aber zurück ins Jahr 1926. Auf seiner Suche nach geeignetem Bier für sein Schweizerhaus stößt Kolarik auf das böhmische Budweiser, ein dunkelgelbes zwölfgrädiges Lagerbier. Das Wasser, mit dem es gebraut wird, stammt aus 312 Metern Tiefe. Es ist Tausende Jahre alt und seidenweich, wie Schweizerhausbesucher mit jedem Schluck bestätigen können. Kolarik gelingt es, einen ganzen Eisenbahnwaggon des böhmischen Bieres nach Wien zu bringen und damit einer alten Liebe neue Triebe zu verleihen. Der Liebe nämlich, die die Wiener – ob slawischer Herkunft oder nicht – seit alten Zeiten mit dem tschechischen Bier verbindet.
Von Krieg und Gefangenschaft kehrt der Wirt mit dem guten böhmischen Bier in ein völlig zerstörtes Schweizerhaus zurück. Zwei Bäume stehen noch im devastierten ehemaligen Gastgarten, mehr nicht. Die berühmten Nussbäume, in deren Schatten so mancher Sommertag seine lange Reise in die Nacht beginnt, pflanzt Kolarik 1947 mit eigenen Händen. Nussbäume, weil deren Geruch die Gelsen vertreibt. Lebenswichtig für einen Biergarten in den feuchten Praterauen. Karl Kolarik – mittlerweile zur Wirtslegende geworden – starb vor elf Jahren im 92. Lebensjahr. Sein Erbe führt seine Familie weiter. Sohn Jan-Karl Kolarik ist ein freundlicher Herr, aber ein strenger Wirt. Das ist gut so, denn nur ein strenger Wirt ist ein guter Wirt.
Und wenn seinen Argusaugen einer der drei Dutzend Kellner entkommt und der dann auch noch Zeit hat und Lust und das Schweigegelübde bricht, dann kann es passieren, dass er voller Stolz von berühmten Gästen erzählt. Von der „Frau mit dem Affen“, vom „Kapitän“ und vom Qualtinger. Von Peter Alexander und vom „schönen Hannes“, von Slash von Guns n’ Roses, einem sehr heimlichen Glenn Gould, einem noch heimlicheren Carlos Kleiber. Von den Tonis Polster und Benya, von Bruno Kreisky und dem Mineralwasser trinkenden Arafat, „den kaner kennt, wenn er sein Tüchl ned aufhat“. Aber das ist eigentlich gar nicht so wichtig, meinen die echten „Stelzen-Geher“. Hier ist jeder willkommen, „wirklich a jeder“.
Fast jeder. Legendär ist heute noch jener Tag, an dem der russische Nationalisten-Bösewicht auf Empfehlung eines FPÖ-Politikers, von Leibwächtern beschirmt, den „Bahnhof“ ansteuerte, jenen allerheiligsten Teil des Schweizerhauses vor der gigantischen Zapfanlage. Ein Pfeifkonzert begleitet von „Schleich di, Pülcher“- und „Haut’s eam ausse“-Rufen fegte Vladimir Schirinovski auf Nimmerwiedersehen aus dem „Haus“.
Legendär auch der Tag, an dem das Schweizerhaus, sonst grün und weiß mit goldgelben Tupfen vollviolett war. Vollviolett von Tausenden Fliedersträußen zu Ehren der Wiener Austria, die an jenem Tag im benachbarten Ernst-Happel-Stadion aufgeigte und den Wuchteldurst von Kickern und Fans im „Haus“ stillte. Im Haus mit dem Nussbäumen. In der Kathedrale der Zufriedenheit.
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SCHWEIZERHAUS, 2., Straße-des-Ersten-Mai 116; (gleich neben der Hauptallee am Ende des Wurstelpraters), kein Ruhetag, Tel. 728 01 52, tgl. 10-23 Uhr, von 9. März bis 31. Oktober.

2 Gedanken zu „Der beste Garten der Stadt“

  1. liebe frau andrea,
    mit diesem artikel haben sie bürgermeistern, mistküblern, dirigenten, fußballtrainern, industriemagnaten, praterdipplern und mir aus der seele und vor allem aus der kehle gesprochen.
    beiliegend einige herrliche objekte sommerlicher begierde.
    mit besten grüßen
    roland lengauer

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