Falter 38/2002 vom 18.09.2002.
Liebe Frau Andrea,
natürlich könnte ich mir das auch aus dem Internet holen, aber ich möchte lieber Sie fragen: Jedes Mal, wenn ich „Am Tabor“ vorbeikomme, frage ich mich, was dieses Wort eigentlich bedeutet, in welchem Zusammenhang damit der Falter-Redakteur gleichen Namens steht. Können sie mich aufklären?
Magdalena H., Internet
Liebe Magdalena,
der Ort, der an die Namen von Theaterregisseur George Tabori und Falter-Architekturkritiker Jan Tabor erinnert, lag einst direkt an der Donau. Dort endete die, nach Norden führende, vor 1770 noch Kremser Strasse genannte Taborstrasse. Mit dem Namen Tabor bezeichnete man damals generell Verteidigungsanlagen, in unserem Fall die, im 15. Jhdt. zur Sicherung der Donaubrücke gegen militanten Hussiten errichtete Fortifikation. Bizarrerweise war diese Art der Befestigungsanlagen von den Hussiten selbst erfunden und nach der, von ihnen in der Nähe einer verwüsteten tschechischen Burg zusammengeschaufelten Stadt Tábor benannt worden. Tábor war nach 1420 zur Wiege des radikalen Hussitentums geworden. Der Name selbst ist viel älteren, biblischen Ursprungs. Östlich von Nazareth erhebt sich der 588 Meter hohe Berg Tabor (hebr.: Har Tavor). Beide Testamente schildern Ereignisse, die dort stattgefunden haben. Bereits im zweiten Jahrhundert v. Chr. gab es auf dem Berg Tabor ein kanaanitisches Baal-Heiligtum. In der Richterzeit versammelten die Prophetin Deborah und der Feldherr Barak dort ihre Truppen, um den Feldherrn des Königs von Hazor, Sisera, zu schlagen. Für Christen gilt der Berg Tabor auch als Schauplatz der Verklärung Christi, jenes Ortes also, wo Jesus vor den Augen von Petrus, Jakobus und Johannes verwandelt worden sein soll. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Name des Berges (Tabor) und jener der Prophetin (Deborah) gleichen etymologischen Ursprungs sind. Deborah bedeutet im hebräischen. „die Bienenfleissige“, ein Attribut, das auf Architekturkritiker Jan Tabor gleichermassen zutrifft.