Schwarzer Oktober

Für die Kolumne „Index Wiengefühl“, in: Falter 42-1995.

Konsum: Eierschwammerl, Herbstes goldgelbe Gottesbeweise, sind Mangelware auf Wiener Märkten. Steinpilze enttäuschen durch gummiartige Konsistenz, sind durchgehend wurmstichig, von fahler Hutfarbe und werden um astronomische 70 Schilling per Viertelkilo gehandelt. Fungiphiles Expertenminus. Cäsium bunkernde Riesenchampignons aus ungarischen Zucht­kellern überraschen durch Festig­keit und Aroma. Vorsicht ist allerdings auch hier angebracht. Zweites Minus. McDonalds feiert Fischwochen. Die skandinavischen Staatsfrauen, Norwegens Gro Harlem Brundtland und Islands Vigdís Finnbogadóttir lukrieren so noch mehr Erträge aus ihren nordatlantischen Fangflotten. Spezialisten essen trotzdem im besten Fischrestaurant der Stadt, dem dalmatinischen Kornat. Plus.

Republik: Als Hasardeur („profil“) wird Propellerkrawatte Wolfgang Schüssel nach dem eigenwilligen Aufkündigen der Koalition in die Geschichtsbücher eingehen. Die Fahrkarte der SPÖ unter Vranz Teflonitzky dürfte mit Ampelkoalition bedruckt werden, die Rolle als Juniorpartner einer großen Koalition unter Kanzler Schüssel schließt die Löwelstraße aus. Mit dem Scheitern der rot-schwarzen Regierung scheint auch Österreichs Reputation als politisch und wirtschaftlich sicheres Land mit einem Schlag dahin zu sein. Zukunftsangst, Unsicherheit und kopfschüttelnde Ratlosigkeit sind die Antwort der Bevölkerung angesichts der paralysierten SP und einer von Neuwahleuphorie beseelten VP. Hunderte Millionen schwachwerdender Schillinge werden nun nicht in den Staatshaushalt, sondern in die Werbemühlen des Adventkrimis fließen. Dreifachminus für Schüssel und seine von Umfragedaten hypnotisierte Volkspartei. Die Starhemberger meldeten sich wieder: Briefbomben, die Vierte. Eine prominente Flüchtlingshelferin und zwei Ärzte waren Adressaten der jüngsten Serie. Minus

Kultur: Österreichs Kicker konnten trotz ausverkauftem Happelstadion gegen die Samba tanzenden Portugiesen nicht mehr als ein mageres Unentschieden einfahren. Die Chancen auf die EM-Teilnahme marginalisierten sich damit. Gurkentruppenminus.

Medien: Die Neuwahl am 17. Dezember bringt Schnitzelland nach Waldheim wieder einmal auf die Titelblätter sämtlicher Zeitungen rund um den Globus. Minus. Zur Frau des Jahres wählten Viva-Hörerinnen Erika Bogner, Oma eines HIV-Positiven Enkelkindes, dessen Eltern bereits an Aids gestorben sind. Plus für die unverbissen weiterkämpfende Frau.

Umwelt: Krisen lösen Verkehrsstaus und Kometenängste aus. Unterbrochen von sporadischen Nebelschwaden glänzt der Herbst durch Sonnenschein. Schönstes Altweibersommerplus.

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