Paul Flora ::: Der weiße Rabe

Der Tiroler Zeichner und Grübler Paul Flora wird am kommenden Sonntag 75 Jahre alt.

Ein Hausbesuch von ANDREA MARIA DUSL, erschienen ~ in Falter 25/97.

Paul Flora lebt in einer kleinen, zartgelb gefärbten Villa oberhalb Innsbrucks. Hinter Bäumen versteckt, ,,gleich neben dem Gasthaus Linde“. Der Taxifahrer, der die steile und kurvige Straße zur Hungerburg rauffährt, weiß, wo Paul Flora wohnt. In Innsbruck wissen alle, wo Paul Flora wohnt. Gleich neben dem Gasthaus Linde. In der Zeit, die der Mercedes den Weg zur Hungerburg raufkeucht, hätte es Flora locker mit der Hungerburgbahn in die Stadt geschafft, oder mit der Seilbahn zum Hafelekar hinauf. Paul Flora wohnt, was Innsbruck betrifft, vorbildlich.
Paul Flora.jpg,,Ich liebe die Berge“, gesteht Flora sein ,,nicht ganz platonisches Verhältnis“ zu Tirols Topographie. ,,Ihre Einsamkeit, ihre bizarre Schönheit, die Verfärbungen im Herbst, die Blumenpracht im Sommer und die verschneiten Wälder im Winter.“ Das Bedürfnis, sie zu attackieren, ihre Gipfel zu erobern, wie es seine Landsleute, die mountainbikenden, snowboardenden und kletternden Tiroler Fexe mit unstillbarem Eifer betreiben, hat er nicht. In aller Bescheidenheit, den Wert des Aufstiegs nicht über den der Aussicht zu stellen, zieht es ihn dennoch zu stürmischen Besteigungen.

Das Zaungatter der Floraschen Villa ist unversperrt, kein Hund bewacht die Zeichnerburg, einzig ein schwarzer Kolkrabe versucht sich als kapitolinische Gans. Ein paar Schritte durch frischgemähtes Gras führen zur Tür, sie steht offen, wie überhaupt Tiroler Türen offen stehen, wenn ihre Besitzer Gäste empfangen.

Paul Flora ist ein eleganter Herr mit schlohweißem Haar, einem pfiffigen Blitzen in den Augen und jenem vom Lachen aufgefalteten Gesichtsgebirge, das nur Südtirolern in die Wiege gelegt wird. Floras Händedruck ist fest und freundlich, aber sein Arm, wie er später nicht ohne bescheidenen Stolz erklären wird, ,,hängt nur mehr an Bandln und Sehnen“, seit er nächtens einmal über eine im Garten deponierte maximilianische Kanonenkugel fiel und sich dabei nachhaltig die rechte Schulter zertrümmerte.

Während Paul Floras Muse türkischen Kaffee brüht, entstoppelt der Zeichner eine Flasche mit kristallklarer Flüssigkeit, die sich als stärkster und feinster Zwetschkenschnaps herausstellt, der je eine Tiroler Hausbrennerei verlassen hat. Wir sitzen umringt von Bildern Roland Topors und Alfred Kubins. Flora hat mehr davon, als die Wände seines Hauses Platz bieten.

,,Ich bin Abonnent des Falter, wahrscheinlich der einzige in Innsbruck.“ Paul Flora beantwortet Fragen, die sein Gegenüber nie stellen würde. Nicht ohne diplomatisches Geschick beweist der Meister der zarten Linien, daß er weitaus mehr Ahnung von den Vorgängen in Wien hat als seine abgeschiedene Existenz auf der Tiroler Alm vermuten ließe. ,,Wien wird immer noch unterschätzt“, schreibt er der Hamburger Zeit ins Stammbuch. ,,Wenigen ist bekannt, daß Schnitzler, nicht Joyce, den inneren Monolog erfunden hat, und daß hinter abbröckelnden Fassaden einige Nebensachen wie die Psychoanalyse, die Zwölftonmusik, das Wittgensteinsche Gedankengebäude, ein Chimborasso der Literatur wie ,Der Mann ohne Eigenschaften‘ und noch viel dergleichen mehr entstanden ist, während man anderswo womöglich nur einige bedeutende Handelsgesellschaften gründete.“

Nicht nur in seiner Essaysammlung ,,Dies und das“ plaudert Paul Flora lieber über andere (etwa Saul Steinberg, Fritz von Herzmanovsky-Orlando oder Charlie Chaplin) als sich selbst – und verrät damit mehr über sich als andere je über ihn sagen könnten. Flora spricht klar, seine Sprache ist unverfälscht und ehrlich, sein Dialekt Tirolerisch, die Färbung Vinschgauerisch, mit dem Ton der Stadt Glurns, jener kleinsten Stadt Tirols, die die Familie der Floras erzeugt hat.

In Glurns wird Flora 1922 als italienischer Staatsbürger geboren. Sein Vater, ein Arzt, zieht mit der Familie 1927 nach Innsbruck. Dem italienischen Schulsystem will er seine sieben Kinder nicht anvertrauen. Der Weg nach Innsbruck führt über Matrei, wo der Großvater mütterlicherseits Besitzer einer noblen Pension im ,,Schweizer Stil“ ist. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie sind hier versprengte Reste des alten Österreich versammelt, die sich ,,zwischen gipsernen Kaiserbüsten und ungemein geschwungenen Petroleumlampen“ dem süßen Studium der Melancholie hingeben. Für eine Baronin besorgt Flora Schönheitswässerchen, einer von spiritistischen Neigungen heimgesuchten Dame stellt er allabendlich eine Sitzgelegenheit in die Tiroler Dämmerung, um ihr die Konversation mit dem dahingeschiedenen Gemahl bequemer zu gestalten. Begegnungen dieser dritten Art erzeugen die nachlässige Eleganz Floras, die stets dann durchblitzt, wenn er sich knorrig und alpin gibt.

Als 15jähriger hat Flora jenes Schlüsselerlebnis, das ihm den Weg zum Künstler eröffnet: Er sieht erstmals Zeichnungen von Alfred Kubin. ,,Sie waren mir durchaus vertraut, denn ich kannte aus Mals und aus Matrei das Milieu und die in ihm handelnden Figuren; diese Welt überraschte mich nicht im geringsten. Ich wußte, ich will Zeichner werden.“ Feriengäste aus Bremen entdecken in den frühen Arbeiten Floras Talent und leiten ihre Erkenntnisse an Otto Modersohn weiter, der zum Besuch einer Kunstgewerbeschule rät. An der Innsbrucker Universität frequentiert der 16jährige Gymnasiast einen Aktzeichenkurs und gewöhnt sich eine angemessene Distanz zu den von ihm dargestellten Figuren an: Das Modell ist ein hageres Wesen mit Halbmaske, eine Dame aus der Innsbrucker Gesellschaft.

Von Innsbruck und seiner Bourgeoisie leben muß der Glurnser nie. Flora schlägt sich in der Münchener Akademie der Klasse Olaf Gulbranssons durch, ohne dem Meister je zu begegnen, ,,weil weder er noch ich je in sie hineinschaute“. Dem Krieg kann er sich bis 1944 mit Hilfe komplizierter Unternehmungen fernhalten. Die größte Militäraktion, so erinnert sich Flora, war das das ängstliche Durchmessen des schönen Weinviertels im Laufschritt. 1947, seit damals lebt er in seinem Haus auf der Hungerburg, hat Flora in Wien seine erste österreichische Einzelausstellung. In der Neuen Galerie, der jetzigen Galerie nächst St. Stephan. Die Aufnahme in den Art-Club ist die erste Folge.

Ab 1949 illustriert Flora das Feuilleton der amerikanischen Neuen Zeitung. Diese Zeichnungen machen Daniel Keel, den Gründer des Diogenes Verlags, auf ihn aufmerksam. Die beiden treffen einander in Zürich, ,,in einem altmodischen Haus, in einem altmodischen Zimmer, darin ein altmodisches Bett, darunter ein Persilkarton, und in diesem war der Diogenes Verlag“. Bis heute blühen die Früchte dieses ersten Teffens als erfolgreiche publizistische Zusammenarbeit.

1957 schließlich ereilt ihn der Ruf der Hamburger Zeit, die einen politischen Karikaturisten sucht. Er nimmt den Auftrag unter der Bedingung an, ,,daß mir niemand dreinredet“. Kaltes Entsetzten schlägt ihm entgegen. ,,Die haben gedacht, ich wohn’ hier auf der Alm, und ich kann ja nicht wissen, was sie wollen.“ Daß Neue Zürcher, Frankfurter Allgemeine und Weltwoche auch im Schatten der Nordkette gelesen werden, ist ihnen bis dahin unbekannt. 14 Jahre prägt Flora die politische Karikatur des deutschen Wochenblatts und zeigt sich an der Waterkant nicht öfter als einmal im Jahr, um mit der Gräfin Dönhoff zu soupieren und über nicht weniger als ,,dies und das“ zu parlieren. Daß Richard von Weizsäcker ihm das große Bundesverdienstkreuz für Verdienste um die politische Kultur in Deutschland um den Vinschgauer Hals legt, kommentiert Flora mit kokettem Stolz: ,,Ich versteh’ ja überhaupt nichts von Politik.“

Von den annähernd 3000 Zeichnungen, die Flora in Hamburg veröffentlichte, existieren heute nur noch wenige. ,,I bin nach hinten in Garten gangen, hab an großen Haufen g’macht und sie alle ang’schirrt.“ Weil er sie für die Zeitung entstehen ließ und nicht für die Wände von Galerien oder Privatwohnungen, opferte Flora sie dem Feuer.

Mit der gleichen Rigorosität arbeitet Flora noch immer. Er sitzt täglich vor Mittag an seinem Tisch und zeichnet. Setzt behutsam und doch kraftvoll Strich um Strich aufs Papier. Was nicht gelingt, landet im Papierkorb: Flora ist ein deflationistischer Handwerker. Bescheiden, klug und von verschmitzter Weisheit. Er hat ein befreiendes Vergnügen daran, über sich und andere zu lächeln, ohne jemandem weh zu tun. Mit milder Melancholie schlägt er, der sich stets als Unzeitgemäßen sieht, den Nagel der Zeit zärtlich auf den Kopf. ,,Flora ist nicht ohne Traurigkeit“, schreibt Friedrich Dürrenmatt zum Album ,,Trauerflora“. ,,In seinem Werk sind Welten untergegangen, und wir ahnen, daß auch wir untergehen.“ Von apokalyptischer Zukunftsvision ist Flora dennoch weit entfernt, lebt er doch sowieso ,,optisch in der Vergangenheit“. Aus pragmatischen Gründen: ,,Weil sie zeichnerisch mehr hergibt.“
,,Paul Flora, Hungerburg“, eine ewige Adresse.

©Andrea Maria Dusl

Schlussendlich Null

Falter 24/97, 11.6.1997

Die Null ist eine seltsame Zahl. Für sich gesehen ist sie einsam und würdelos, im Gespann mit einer anderen Ziffer höchst attraktiv und jubiläumsfähig. Gleich drei von ihnen beschäftigten Gert Voss, die Nummer Eins des deutschen Sprechtheaters, den Peter Turrini aus Anlaß des 60ers seines Mentors Claus Peymann bis 1000 zählen ließ. Da war dann endlich Schluß. Die Selbstdarsteller auf der politischen Bühne, Viktor Klima und Helmut Zilk wurden 50 und 70, das Vienna Art Orchester und der Falter jeweils 20. Einzig das Tretautoteam der Comandantina Dusilova kam ganz ohne Nullen aus. Sein bestes Pferd im Stall, Julian Neumayer legte mit einem neuen Bahnrekord die Poleposition für das Donnerstägliche Mitternachtsrennen auf die saftige Piste der Trabrennbahn Krieau.

Fürwahr eine charmante Idee, El, den Spätfrühling launig und wechselhaft zu gestalten. Baden und Braten in praller Sonne gehören erwiesenermaßen zu den ungesunden, wenngleich heftig herbeigesehnten Nebenerscheinungen zu frühen Sommereinzugs. Sie führen zu Pilzerkrankungen, Zecken- und Gelsenplage und Hautkrebs. Diese Gefahr scheinst Du erfolgreich zu bannen. Bedenke aber, o lernfähiger Ali, daß wir nach dem Grimmen des Winters und dem Triefen des Frühlings Fäustlinge und Regencape eingemottet haben und voll auf luftige Garderobe setzen. Mit einem Dauerhoch über Mitteleuropa kämst Du unseren Wünschen durchaus entgegen, Ma Salaam, Habibi!

35 Partagas Superfinos

ILLUSTRATION · DREI ZEICHNER
Wie eine Zeichnung entsteht
ANDREA DUSL
Falter, 4. Juni 1997, 20-Jahre-Beilage pag. 90. Zum Fest „20 JAHRE FALTER“ am 5. , 6. und 7. Juni in der Tribüne Krieau .

Ein strahlender Montagmorgen: Die Zeiger meiner sowjetischen U-Boot-Kommandantinnen-Uhr stehen auf elf Uhr zwölf und ein gut geübtes Ritual nimmt seinen Anfang. Der würzige Geruch einer vollen Kanne frischgebrühten „Alvorada“-Kaffees und ein bekanntes Rascheln wecken mich aus süssen Träumen: Mein Kammerdiener Jacques öffnet zwei Packungen meiner Lieblingszigaretten „Partagas Superfinos, Serie B, No.2″ und legt die Morgenblätter „Der Standard“, „FAZ“, „profil“, „NZZ“, und „Washington Post“ zur Lektüre bereit. Während ich unter drei vorbereiteten Schneidereien – meist „Armani“, „Lang“ oder „Schneidermeister Dick aus Gföhl“ – wähle, füllt Jacques mein „Zippo“ mit frischem Kerosin. Die Morgenmusik besteht stets aus bekannten Klängen: „Low Down“ von J.J.Cale bei bedecktem Himmel, „Crosstown Traffic“ von Jimi Hendrix bei Schneefall oder Hagel, die „Hymne der Sowjetunion“ bei strahlendem Sonnenschein wie heute.

Zur Einstimmung auf den Arbeitstag rauche ich zwei „Partagas Superfinos“, wobei mich Jacques vergebens auf die Gefahren der Nikotinsucht hinweist. Das erste Häferl Kaffee begleitet mich durch die Lektüre der Montagmorgen-Publikationen, das zweite nehme ich während des Studiums einer von Falter-Schlußredakteurin Michaela „Babsi“ Streimelweger verfassten Depesche zu mir. In knappen Worten informiert sie mich darin über Titel und Autor des zu illustrierenden Textes. Jacques stellt eine telephonische Verbindung in die Falter-Redaktion her, weil aus den vorliegenden Millimetervorgaben nicht eindeutig hervorgeht, ob ich zum Anfertigen einer hoch- oder querformatigen Zeichnung eingeladen werde.

Die dritte Tasse Kaffee und mittlerweile fünfte „Partaga Superfino“ widme ich dem Lesen des beigelegten Textes. Einige stilistische und mehrere inhaltliche Inkongruenzen ignoriere ich aus Mangel an Zeit. Jacques hat inzwischen die Formatfrage geklärt und legt den Transparentblock „Diamant Extra Spezial, Nr. 105 glatt, 90/95 Gramm pro Quadratmeter, DIN A3″, den Minenblei „Faber Castell TK-Fine 9717, Stärke 0,7″ zwei Tuschestifte „Staedtler marsmagno 2° in den Stärken 0,35 und 0,18 sowie eine, auf Atomdicke zugeschärfte Rasierklinge bereit. Die Arbeit kann beginnen.

Jede von uns kann zeichnen, das meine ich ganz ernst und ohne polemischen Unterton. Wie nervenzerüttend und von Termindruck, aufgepeitscht das Zeichnen einer Falter-Zeichnung sein kann, weiß außer Rudi [Klein] und Tex [Rubinowitz] allerdings niemand. Sie selbst würden es nie zugeben. Das Zeichnen einer Falter-Zeichnung ist tausendmal anstrengender als das Verfassen eines Falter-Artikels. Ich weiß das, weil ich beides ausprobiert habe. Nichts ist so furchtbar Herz-Kreislauf-belastend, wie das Zeichnen einer Falter-Zeichnung. Einer Falter-Zeichnung sieht man nämlich sofort an, ob sie genial ist oder ein Superschas, einen Falter-Artikel muß man zumindest vorher durchlesen.

Aus einem einzigen Grund konsumiere ich die gefährlich vielen Zigaretten und die enormen Mengen an Kaffee: Jacques, der einzige mögliche Zeuge meiner Qualen soll im Glauben bleiben, meine Aufgerührtheit käme von den aufgenommenen Stimulantia. Jacques, ein Vorbild an Verschwiegenheit zieht sich daher aus Contenance in den Südtrakt meines weitläufigen Appartements zurück, um mir ja nicht das Gefühl zu geben, Mitwisser der zeichnerischen Unruhe zu werden. Der schwierigste Part im Zeichnen einer Falter-Zeichnung ist das Ausdenken der Falter-Zeichnung: Eine gedankliche Leistung, ähnlich der von Gari Kasparov im Kampf gegen Deep Blue. Aus zweieinhalb Milliarden Illustrations-Möglichkeiten muß ich die Beste auswählen. Meine Großhirnrinde leistet jetzt Schwerarbeit. Im Aschenbecher „Eins“, einem blauen Produkt, das ich einst im Stadionbad mitgehen habe lassen, liegen jetzt schon 17 Kippen, im Aschenbecher „Zwei“, einem schwedischen Designerstück, fünf ausgedämpfte und zwei brennende „Partagas Superfinos“.

Ich läute nach Jacques, es ist unser vereinbartes Zeichen, daß die Kaffeekanne Ieergetrunken ist. Mein treuer Diener bringt mir flugs frisches Coffeein und der fade Teil des Morgens kann beginnen. So anstrengend nämlich das Ausdenken einer Falter-Zeichnung ist, so einfach und bizarr unkompliziert, ja geradezu watscheneinfach ist das Zeichnen einer Falter-Zeichnung. Ich muß das ausgedachte Bild nur vom Kopf aufs Blatt projizieren und nachzeichnen. Ich male also ein Kastl in der Größe des gewünschten Formats in die Mitte vom Transparentblock und beginne links unten mit dem Anbringen von Strichlein um Strichlein, Linie um Linie, Zacke um Zacke, Kringel um Kringel. In affenartigem Tempo wandert meine „Zeichenhand“ nach rechts oben, während die „Blockhaltehand“ eigenartige Bewegung durchführt, über die ich keine willentliche Kontrolle habe, weil sie aus einem mir unbekannten Teil des Stammhirns kommt, im Einklang mit der „Zeichenhand“ jedoch fantastisch gerade, höchst leinwand verbogene oder was sonst noch an notwendigen Linien aufs Papier zaubert.

Nach zehn bis elf Minuten ist der ganze Spuk vorbei. Jacques bringt mir ein Frottee-Handtuch und eine neue Packung „Partagas Superfinos“. Die fertige Falter-Zeichnung muß jetzt nur mehr mit grauen Filzstiftpinseln der Marke „Соріс sketch, Cool Gray No. 3 bis No. 7″ getönt werden. Das geschieht auf der Rückseite der halb-transparenten Seite, erstens verwischen sich dabei nicht die komplizierten Tuschestrukturen und zweitens erzeugt es jenes einzigartig seidige Chiaroscuro, für das ich nicht umsonst wahnsinnig viel Kohle aufs Konto gebunkert bekomme. Das graue Gepinsel ist nach vier Minuten beendet. Mit einem Paar Scissoren schnipple ich noch verräterische Nebenzeichnungen, meist Buchstabenkombinationen, die im Wort AUTO gerne vorkommen, weg und klebe das fertige Werk auf ein billiges, aber strahlend weißes Tuschblatt.

Jacques bringt mir meine auf Hochglanz polierten Schuhe, steckt die Falter-Zeichnung in eine schwarze Mappe mit rotem Gummizug, diese in meinen Rucksack, hilft mir beim Schultern desselben und begleitet mich in den Hof. Dort wartet mein Mountain-Bike mit, von Jacques frisch aufgepumpten Reifen, kontrollierten Bremszügen und vorgewärmtem „Rennsattel schmal“. Weder einem Boten noch der Post, und auch Jacques nicht, würde ich die wertvolle Fracht anvertrauen. Ich bringe meine Falter-Zeichnung selbst im stärksten Regen persönlich vorbei. Außerdem würde ich es mir nie nehmen lassen, im Falter jenen Eindruck von Lonely-rider-is-bringing-the-hottest-news zu erzeugen, für den auch mein Freund und Nudlaug Heribert Corn – der mit der knatternden BSA – zu Recht berühmt ist. Im Falter erwartet mich Empfangs-Chef Josef Egger mit einem freundlichen „El Hamdullilah, Königin Dusula!“ und Michaela „Babsi“ Streimelweger mit einem, nur uns beiden vertrauten „Seawas, Triksi“.

Der Herr Ingenieur

Falter 23/97, 4.6.1997

Ali Baba! Schau, die Sache ist ganz einfach: Regen – leicht zu merken, Ali – ist ein Wort mit „R“. September, Oktober, November, Dezember, Jänner, Februar, März und April haben – erraten – auch alle ein „R“. Die alte chinesische Weisheit besagt nun, daß Regen nur in Monaten mit diesem „R“ vorkommen darf. („R“ findest Du im Alphabet zwischen „Q“ und „S“). Alle Monate ohne „R“ sind regenfrei zu halten. Es sind dies Mai, Juni, Juli und August. Ganz wichtig, El, das ist jedes Jahr so. Die Reihenfolge bleibt die Gleiche, da fährt die Eisenbahn drüber. Mai, Juni, Juli und August darf es nicht regnen, weil wir da gerne im Freien sitzen, Fußballspielen gehen, Skaten, Wandern und Schwimmen. Das ist ganz wichtig für unsere Psyche. Für die Wirtschaft sowieso. Also bitte: Durchführen. Am Donnerstag, Freitag und Samstag bist Du herzlich zu unserem Super-Fest in der Krieau eingeladen! Ma Salaam, Deine Comandantina

So nicht, Tirol!

Falter 22/97, 28.5.1997

Liebe Tiroler! Es mag noch angehen, daß Eure Werbefuzzis bei Euch daheim für Schande und Aufruhr sorgen. Die Idee, das Tivolistadion in TirolMilch-Stadion umzutaufen war schon nicht von schlechten Eltern. Welcher Teufel Euch allerdings ritt, unser Riesenrad mit wohnzimmergroßen Tirol-Transparenten zu behängen, weiß der Himmel. Unser Riesenrad! Das Wahrzeichen aller Wahrzeichen! Das Wahrzeichen aller Wiener! Das wienerischste aller Wahrzeichen! Weil schon passiert ist, was nie hätte geschehen dürfen, zahlt Euch Wien jetzt mit doppelter Münze zurück. Grinzinger Extremkletterer haben die Nordkette erfolgreich verkabelt und warten auf das Signal aus der Bundeshauptstadt, die hundert Meter hohe Lichterkette mit dem Slogan „Es lebe der Zentralfriedhof“ zu illuminieren. Damit nicht genug. Die Edelmetallschindeln Eures Lieblingserkers wurden in den letztenTagen gegen solche aus vergoldetem Meidlinger Ziegelton ausgetauscht. Schau ma amal, wie Euch des taugen wird, wenn nach dem nächsten Regenschauer vom Goldenen Dachl die Worte „Wien ist anderst“ leuchten werden. Eure Schützen könnt ihr jetzt schon in Position bringen, sie sind von Favoritner Patrioten unterwandert, die nichts unversucht lassen werden, die Kommandostrukturen Eurer Trachtentruppen aufs nachhaltigste zu sabotieren.

Austropopopper

Falter 21/97, 21.5.1997

Das Schreiben von Briefen zählt seit jeher zu den exklusiveren Möglichkeiten zwischenmenschlicher Kontaktaufnahme. Die Briefe eines gewissen Paulus haben es sogar bis ins Neue Testament gebracht. Auch zartere Bande flicht man gerne in Form parümierten Liebesgeschreibsels. Un der gefürchtete Blaue Brief ist nichts anderes als eine, Poststück gewordene seidene Schnur. Damit sich auch in Zukunft nichts am elitären Charakter des Briefeschreibens ändert, hat die gelbe Post die Erhöhung ihrer Porti beschlossen. Ab 1. Juli werden stinknormale Kuverts mit 7-Schilling-Marken zu frankieren sein, dickere mit 15-Schilling-Wertpapieren. Die Erhöhung der Zustellgeschwindigkeit wird durch diese Maßnahme vermutlich nicht getriggert werden.

Ali Baba! Es vergeht kein Tag, o weiser Ali, an dem wir nicht voller Freude ein Lied auf die Vorzüge Deines Wetters anstimmen. Vorbei ist die Zeit der kalten Nächte, der tropfenden Nasen und nassen Schuhe. Wir Mädchen kaufen uns stündlich neue Kleider und flitzen mit liebestollem Lächeln von Date zu Date. Vergessen sind auch die Zwiste mit dem Herrn, den wir in den verdienten Ruhestand geschickt haben.

Ei, Ei

Falter 20/97, 14.5.1997

Und es begab sich, daß gerade Samstag war und Nachmittag, mein Eiskasten vor Leere gähnte und seine Besitzerin mit knurrender Stimme zum Nahversorgungsimperialisten Billa schickte. Eier, waren seine Worte, hol mir Eier! Die Eiskastenbesitzerin hirschte also, wie ihr befohlen, ins Paradies der Nahversorgung, Milch und Semmerln kaufen, Putenpariser und: Eiskastens geliebte Eier. „Tierschutzgeprüft und frisch“ beschrieb sie das Etikett, von „freilebenden Hühnern“ gelegt, „aus biologischer Landwirtschaft“. Mein Eiskasten war zufrieden. Er weckte mich Sonntag spätvormittags nach ausgiebigem Kühlen mit stolzen Brummen und hieß mich, seinem Blechbauch ein Frühstücksei zu entnehmen. Sein Freund, der Herd half mir beim Kochen, die Kollegen vom Geschirr stellten Becher und Löffel zur Verfügung. Kumpel Tisch zog sein bestes Tuch an und lud Salz und Pfeffer auf seine gesellige Platte.

Die Eiskastenbesitzerin war glücklich, wie selten. Mit brillianter Technik schlug sie dem Ei die Kalotte ab und begann mit mit der Erforschung seines Inneren. Goldgelb und zäh waren seine Dotter. Und bald verspeist. Seine Dotter? Ja, natürlich: Es waren Zwillinge im guten Ei. „Ja! natürlich“ – so ist das mit Gentechnik, Hormonen und Werbeslogans: Sie machen Eiskastenbesitzerinnen unsicher.

Bankdirektoren erschießen sich meist selbst. Ihre blitzblanken Colts, Smith & Wessons und was sich sonst noch zum Auslöschen eignet, bewahren sie – wo sonst – in meterdicken Safes auf. Der Mann von der Straße hat´s da schwerer. Seine Knarre liegt meist bieder getarnt unter Stapeln von schlecht geführten Unterhosen im ehelichen Wäschekasten. Helmut Z. griff sich also Papas 357er Magnum und einen Stapel Munition: Denn wo eine Waffe ist, ist auch für einen Fünfzehnjährigen ein Weg.

Ei, Ei


Falter 20/97, 14.5.1997

Und es begab sich, daß gerade Samstag war und Nachmittag, mein Eiskasten vor Leere gähnte und seine Besitzerin mit knurrender Stimme zum Nahversorgungsimperialisten Billa schickte. Eier, waren seine Worte, hol mir Eier! Die Eiskastenbesitzerin hirschte also, wie ihr befohlen, ins Paradies der Nahversorgung, Milch und Semmerln kaufen, Putenpariser und: Eiskastens geliebte Eier. „Tierschutzgeprüft und frisch“ beschrieb sie das Etikett, von „freilebenden Hühnern“ gelegt, „aus biologischer Landwirtschaft“. Mein Eiskasten war zufrieden. Er weckte mich Sonntag spätvormittags nach ausgiebigem Kühlen mit stolzen Brummen und hieß mich, seinem Blechbauch ein Frühstücksei zu entnehmen. Sein Freund, der Herd half mir beim Kochen, die Kollegen vom Geschirr stellten Becher und Löffel zur Verfügung. Kumpel Tisch zog sein bestes Tuch an und lud Salz und Pfeffer auf seine gesellige Platte.

Die Eiskastenbesitzerin war glücklich, wie selten. Mit brillianter Technik schlug sie dem Ei die Kalotte ab und begann mit mit der Erforschung seines Inneren. Goldgelb und zäh waren seine Dotter. Und bald verspeist. Seine Dotter? Ja, natürlich: Es waren Zwillinge im guten Ei. „Ja! natürlich“ – so ist das mit Gentechnik, Hormonen und Werbeslogans: Sie machen Eiskastenbesitzerinnen unsicher.

Bankdirektoren erschießen sich meist selbst. Ihre blitzblanken Colts, Smith & Wessons und was sich sonst noch zum Auslöschen eignet, bewahren sie – wo sonst – in meterdicken Safes auf. Der Mann von der Straße hat´s da schwerer. Seine Knarre liegt meist bieder getarnt unter Stapeln von schlecht geführten Unterhosen im ehelichen Wäschekasten. Helmut Z. griff sich also Papas 357er Magnum und einen Stapel Munition: Denn wo eine Waffe ist, ist auch für einen Fünfzehnjährigen ein Weg.

Singsang & Sommer

Falter 19/97, 7.5.1997

Ali Baba! Es geht ja! Wie ich sehe, lieber neuer Freund, hast Du die Schalter gefunden, die Dein unbegabter Vorgänger im Amt, jener „Herr“ in schändlichster Absicht auf Dauerwinter gestellt hat. Wetter machen, Ali Baba, ist wie Wuzeln. Um das Match zu gewinnen, mußt Du aufpassen wie ein Haftelmacher, am Ball bleiben wie der pickertste Uhu, die Griffe halten wie Tom Jones sein Micro und Chancen mußt Du verwerten wie der Jesus der Übersicht, Toni Polster. An einer alten chinesischen Weisheit wirst Du auch nicht vorbeikommen: Übung macht dem Meister! Aber jetzt zum Kern der Kritik. Das letzte Wochenende hast Du wirklich elegant bereut. Hut ab! Grandios die lauen nächtlichen Mailüfterln, von sommerlicher Grandezza der Postkartenhimmel, fabelhaft die Ausgewogenheit von Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Von immenser Wichtigkeit auch der Nahtlose Übergang in den Frühsommer. So sparen wir uns die Frühjahrsmüdigkeit und können uns nach monatelanger Winterdepression dem verführerisch süßen Nektar der Sommerelegie hingeben. Mit gezogenem Hut bin ich Deine Comandantina.

Die Knödel

Falter 18/97, 30.4.1997

Außer Fellinis Hofkomponist Nino Rota und Rauhbein Tom Waits fallen mir keine Musiker ein, die so filmisch knödeln, wie das achtköpfige Tiroler Orchester Die Knödel. Hence the name! Robert Kloßhelm und Michael Knödelmeier, die Schöpfer des Films „Der Unfisch“ wissen das auch und fanden in Christof Dienz´ Band kongeniale Partner. Daß Die Knödel auch hinreissende Konzerte spielen, bewiesen sie letzten Freitag im kackevollen Audi-Max der Uni Wien. Und daß Bandleader Dienz der Jimi Hendrix des Fagott und Margret Köll die Joni Mitchell der Harfe sind, wissen alle, die dort waren.

Ali Baba! Es ist nicht so einfach, ich weiß. Der nicht ganz unbekannte Vorgänger von Dir, ein gewisser „Herr“, hat – wie wir alle leidvoll erfahren mußten – sein amt da oben in schändlichster Weise mißbraucht, das Vertrauen der Menschheit in Jahreszeitenabläufe auf Generationen beschädigt und zudem sämtliche Instrumente in der Kontrollzentrale verstellt. Es wird also einige Zeit dauern, bis sich die richtige Mischung aus Wind und wieder einstellt. Kopf hoch, Ali Baba, wir zählen auf Dich, wir stehen hinter Dir wie ein Einser. Eine Bitte: Sei so gut und plane für den 5., 6. und 7. Juni feinstes Sommer ein. Da findet nämlich das große Falter-Fest statt. Thanks.

Oh Goldi!


Falter 17/97, 23.4.1997

Die Aufgabe des österreichischen Bundesheeres besteht neben winterlichen Schneeschaufeln und dem Bauen von Ersatzbrücken im wesentlichen darin, Feinde am Überschreiten der Grenze zu hindern. Die illegalen Einwanderer an der grünen Ostgrenze sind solche Feinde. Also: Bundesheer hinstellen, Präsenz nicht nur dienen, sondern auch zeigen. Neueste Bedrohung: Die Albaner – nur Pyramidenspielen, Massenübersiedeln und Schießprügel klauen im Kopf. Damit sie das nicht bei uns machen: Bundesheerkompanie hinschicken, Präsenzdienstpräsenz zeigen.

Ali Baba! Die Panne mit dem Schneegestöber am Samstag: Sowas kann passieren! Wirst sehen, Baba, mit ein bißchen Übung bringen wir den schönsten Frühling aufs Pflaster! Dein Vorgänger, ein gewißer Herr: Naja.

Schweinewinter

Falter 16/97, 16.4.1997

Der Platz ist einer der häßlichsten der Welt. Daß die tote Hose dennoch lebt, verdankt die Piazza San Carlo weder Karlskirche noch Sezession, nicht dem Verkehrsbüro und schon gar nicht dem Musikverein. Der Magnetismus des U-Bahn-Knotens geht ausschließlich von gastronomischen Tempeln aus. Tagesausflügler schätzen die italienische Küche des principe. Sein Branzino mit Mangold gehört zu den Besten der Stadt. Freunde der fortschrittlichen Abendgestaltung wiederum finden sich im Café Shabu in der Kunstschachtel ein, wo das dickste Guinness Wiens gezapft wird. Daß hier auch der heissest umkämpfte Wuzeltisch der Welt steht, dürfte sich auch schon herumgesprochen haben. Gleich ums Eck´ finden hungrige Nachtvögel Trost & Rat bei Herrn Stefans Opernstadl. Der Hohepriester unter den Würstlstandlern brät die schmackhaftesten Eiterärmel, schneidet die fettesten Buckln und fischt nach den schärfsten Ölpfefferoni. So schön kann Häßlichkeit sein.

Herr! So da, alter Mann in den Wolken! Wir haben jetzt lange genug an einander vorbeigeredet. Meine Engelsgeduld ist an ihre irdischen Grenzen gestossen. Wir schreiben Mitte April, der Flieder sollte blühen, die Menschen auf Inline-Skatern um die Ecken flitzen, die Cabrio-Industrie Umsätze machen, Freibäder ihre Becken fluten und weißhäutige Menschen ihre neuesten Sonnenbrillen in den Schanigärten der Stadt ausführen. Was aber bietest Du uns ? Grönländische Kälte und Kettenpflicht auf der Höhenstraße. Ali Baba, hilf, das Faß ist voll!