Wann es elf zählt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 24/2025 vom 11. Juni 2025

Liebe Frau Andrea,
es ist immer wieder eine Freude, Ihren Offenbarungen zur Wiener Etymologie zu folgen! Nun ergab es sich, dass in einem Gespräch mit Menschen jüngeren Alters, aber auch durchaus in ähnlichen, ostösterreichisch geprägten Alterskohorten der Ausdruck „das zählt elf“ vulgo „des zöht öfe“ völlig unbekannt scheint. Sollte ich nicht bereits eine Erörterung dazu verpasst haben, wäre ich über eine Deutung der Herkunft dieser „berechtigungsraubenden“ Redewendung dankbar. Wirklich erklären konnte ich sie den Unwissenden nämlich nicht.
Vielen Dank,
Michaela Schwaiger, per Email

Liebe Michaela,

die Redewendung ist beste Wiener Gaunersprache, sie kursiert(e) ausschließlich in der Form „des dsöhd öfe“ – als hochdeutsche Phrase ist sie nahezu unbekannt. „Des dsöhd öfe“ bedeutet, etwas zähle nicht, sei egal, belanglos. Die Wendung scheint auf die verschärfte Variante eines alten Glücksspiels zurückzugehen, bei der es galt, mit drei Würfeln mehr als elf Punkte zu erzielen. Besagtes Würfelspiel, „Paschen“ genannt, leitet sich vom französischen „passe dix“ ab (zehn überschreiten). Als Spielvariante „Elf hoch mit drei Würfeln“, bei der die Einsätze verdoppelt werden konnten, stand es ab 1904 auf der Liste der verbotenen Glücksspiele des k.u.k. Justizministeriums. Da die Wahrscheinlichkeit, mit drei Würfeln zwölf oder mehr Augen zu erreichen, signifikant unter 50 Prozent liegt, verstärkt sich der Verdacht, daß „mehr als zehn“ eingefleischten Wienern mit ludischer Neigung nicht ausreichend spannend erschien.

Ob die berühmte „Elferfrage“ Rudolf Horneggs aus dem ORF-Wissens-Quiz „Einundzwanzig“ verstärkenden Einfluss auf die Redewendung genommen hat, muss noch näher erforscht werden. Die Elferfrage jedenfalls galt als schwierigste und damit fast unbeantwortbare Frage.

„Up to eleven“, die Markierung „elf“ als jenseitige Lautstärkeeinstellung erfuhr filmgeschichtliche Prominenz in einer Szene des Streifens „This Is Spinal Tap“, in der der fiktive Gitarrist Nigel Tufnel damit angibt, die Regler seines Marshall-Gitarren-Verstärkers ließen sich nicht bis zehn, sondern getunter Weise bis elf hochdrehen.


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Von diversen Gspritzten

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 46/2024 vom 13. November 2024

Liebe Frau Andrea,
als eine vor 35 Jahren aus den Bundesländern zugezogene und seit 10 Jahren in Döbling lebende Wienerin beschäftigt mich schon fast ebenso lange die Herkunft und Bedeutung des Begriffes „Gspritzter“ (als Bezeichnung einer Person). Ich habe ab und zu gebürtige Wiener gefragt, leider bis jetzt aber noch keine befriedigende Antwort erhalten.
Liebe Grüße
Katja Trovato, Döbling, per Email

Liebe Katja,

wir alle kennen das beliebte Wiener Sommergetränk, den „Gspritzten“, der seinen Namen von der sehr einfachen Zubereitung hat, bei der ein Achterl Weißwein mit Sodawasser aus dem Zapfhahn (oder der heimischen Sodawasserflasche) „aufgespritzt“ wird. Altbürgermeister Häupl nannte sein Lieblingsgetränk „Spritzwein“, Deutsche kennen den „Spritzer“ als „Schorle“ (präzise: „Weinschorle“). Vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verstand man im Kaffeehaus unter dem „Gspritzen“ auch den Muntermacher Mokka mit einem Schuß Cognac, Rum oder Weinbrand. Aus der Gesamtheit der alkoholisierenden Wirkungen dieser Spritzgetränke kommen die Invektive eingspritzt (angeheitert, beschwipst, aber auch dumm und blöd), Eingspritzter und Gspritzter (Betrunkener und Alkoholisierter, in Unkenntnis der Konsumationsform aber auch Haschischraucher).

Hinter der Tabuschranke des Sexuellen hat unser Ausdruck noch andere Bedeutungen. So kennt die Sprachforschung die Bezeichnung „angespritzt“ für die entjungferte, geschwängerte junge Frau. Homosexuelle wurden im (bösen) alten Wien wenig elegant ebenfalls als „Gspritzte“ bezeichnet, indem ihnen der Ejakulationsvorgang des Partners als Beischlafneigung zugesprochen wurde. Daraus scheinen nicht nur die schimpfwörterlich gebrauchten Nebenbedeutungen unecht (und kontriert, wie im Kartenspiel) zu kommen, sondern auch die Invektive Snob, Angeber, Aufgeplusterter.

Gänzlich anderes, wenn auch nicht weniger böses Gewicht hatte die antisemitische Bezeichnung „Gspritzer“ für getaufte Juden, die beim Taufsakrament mit dem Weihwasser-Sprengwedel des katholischen Pfarrers „bespritzt“ worden waren.

Oi weh!

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Euro Tante

Mein Schaubild zur Europawahl, erschienen im Standard vom 1. Juni 2024, pag. 12. Die statistisch errechnte duchschnittliche Europerson ist weiblich, 44, deutsch, bissi zu dick, lebt in einer Paarbeziehung mit ein, zwei Kindern ohne Tiere, hat Matura und wählt konservativ, trinkt Bier, isst Fleisch, Milchprodukte, Obst und Gemüse, lebt im Eigenheim mit großem Fußabdruck. Und sie fährt Auto. –> Schaubild