Das Wesen der Tschesn

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 1.2/2024 vom 10. Jänner 2024

Liebe Frau Andrea,
meine Wurzeln liegen im Waldviertel. Dort bezeichnet man alte, aber dennoch fahrtüchtige Autos entweder als „Graxn“ oder auch als „Tschesn“. Gerade die Herkunft und Entstehung des Wortes „Tschesn“ ist mir ein Rätsel. Ich bitte Sie, könnten Sie in diese Sache vielleicht etwas Licht hineinbringen?
Vielen Dank und freundliche Grüße
Markus Rauscher-Riedl, Waldviertel, per Email

Lieber Markus,

schalten wir die Untersuchungslampe an und sehen uns die erwähnten Wörter an. Die Graxn, Kraxn, mittelhochdeutsch Krechse, Krächse, bezeichnet ursprünglich ein hölzernes, am Rücken getragenes Gestell, mit dem allerlei Sperriges, wie Kisten, Packen, Körbe, Butten, oder auch Brennholz oder Reisig transportiert wurden. Die Slawistiker, in Fragen österreichischer Dialektformen immer bemüht, Erkenntnis beizusteuern, wollen es aus einem, in allen slawischen Sprachen zirkulierenden, in etwa krosno, kroschno lautenden Wort entlehnt wissen, das wohl urprünglich alles bezeichnete, was zu einem Gestell zusammengebaut war, Rückentragen, Webstühle und ähnliches.

Unsere Dialekte haben aus der Kraxn das Kraxln geformt, das Bergaufsteigen mit einer Last am Rücken, dazu das buckelkraxn Getragenwerden, und die, an die Trageriemen der Kraxn erinnernden Hosenträger der alpinen Lederhose, in anderer Bedeutung die eckige, krakelige Unterschrift, und schließlich das klapprige Wagerl, im heutigen Verständnis ein dringend reparaturbedürftiges altes Auto.

Anders die Etymologie der Tschesn. Sie kommt von der französischen Chaise de poste, einem 1664 von einem Sieur de la Gruyère erfundenen, zweirädigen, zweisitzigen, an eine Sänfte erinnernden Postkutschengefährt. Chaise, verwandt mit chair und lateinisch cathedra, ist bekannterweise der Stuhl, manchen noch als elongiertes Lehnmöbel Chaiselongue bekannt.

Dass die Wörter im traditionellen patriarchalen Rollenverständnis auch verwendet wurden, um ältere Frauen zu beleidigen, will aus feministischer Perspektive bedauert und dem Mistkübel der historischen Blödheiten überantwortet werden.


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