Das Rätsel von der Getränkekarte

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 38/2023 zum 20. September 2023

Liebe Frau Andrea,
ich lese den Falter immer von hinten, um gleich in Ihrem Informationsbureau zu sein – ich liebe Sprache. Nun tat sich im Weinlokal unseres Vertrauens die Frage auf: Was sind „Afrain Getränke“? Das Angebot ließ uns erahnen, alklose Erfrischungen. Aber woher kommt „Afrain“ und was bedeutet es? Peter Ahorner verwendet diesen Begriff in seinem schönen Satz „Hagestolz nimmt im Gemach ein Afrain-Getränk zu sich, delektiert sich an Zibeben, bettet sein Haupt auf das Kaprizerl und sinniert über sein wohliges Dasein.“ Ich vermisse jedoch eine Erklärung und Herleitung des Wortes. Können Sie mir helfen? Dr. Google weiß es auch nicht.
Mit vielem Dank und freundlichen Grüßen
Mag. Barbara Bauchinger, per Email

Liebe Barbara,

in seinem großartigen Kompendium „Vergessene Wörter – Österreich“ listet der Wiener Dialekt-Experte, Lyriker, Librettist und Rezitator Peter Ahorner zwischen den Begriffen „afingerln“ (an den Fingern abzählen, erraten), und „afrig“ (mhd. afel, eiternd) das gesuchte Wort. Das „Afrain-Getränk“, so Ahorner, von französisch „afrain“, scheu, ist die alkoholfreie Erfrischung, Wienerisch auch als Tschapperlwasser bekannt. Ahorner stellt es damit neben das englische „afraid“, das mit dem mittelenglischen affrayed, affraied, und dessen Partizip Perfekt „afraien“, aus dem anglonormannischen afrayer (erschrecken, beunruhigen, stören) kommt.

Beim Lokalaugenschein im legendären Weinhaus Sittl, vulgo „Zum Goldenen Pelikan“, dem ältesten Wirtshaus Neulerchenfelds, finden wir tatsächlich „Afrain-Getränke“ auf der Speisekarte. So werden hier die alkoholfreien Getränke bezeichnet. Nach Auskunft der Gastwirtinnen wurde der Begriff einer alten Speisekarte des Lokals entnommen.

Eine lokale Etymologie scheint wahrscheinlich. Frau Andrea vermutet eine Verschreibung des franzöischen „à frein“, das wörtlich „zur Bremse“, eigentlich „zum Zügeln“ bedeutet, wie es die Lexika in den Begriffen „Disque à frein“ (Bremsscheibe) und „Train à frein“ (Bremsspritzenwagen) belegen. Sehr wahrscheinlich dürfte damit ein französelnder Fuhrwerkerausdruck aus dem frankophilen Wiener Vormärz vorliegen.

Bremsende Getränke also im Sittl.

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