Wenn die Bißgurn pfeift

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 25/2023 zum 21. Juni 2023

Liebe Comandantina,
bevor auch die letzten österreichischen Schimpfwörter wegen der neuen wokeness für immer von auf dem linguistischen Komposthaufen enden, würde ich noch gerne die eine oder andere Herkunft erklärt haben. Zum Beispiel: Woher kommt die „Bisgurn“?
Aufrichtigst Ihr
Dr. Josef Dollinger, Büroleiter ORF-Peking,
奧地利国家广播电视台
San Li Tun Wai Jiao Gong, Peking, per Email

Lieber Josef,

wie so viele bestens bekannte Schimpfwörter des Wienerischen hat auch die Bißgurn (Bisguan), gemeinhin die zänkische, streitsüchtige alte Dame, zwei sprachgeschichtliche Herkünfte. Wegen der sprichwörtlichen Bissigkeit wurde sie metaphorisch, wenn auch nicht politisch korrekt mit der alten, unwirschen Stute verglichen, wohl weil spätmittelhochdeutsch Gurre die schlechte Stute bezeichnete, westfälisch Gire schlicht die Mähre. Ob eine Verwandtschaft mit dem ursprünglich niederdeutschen Wort Gör, Göre (Mädchen), englisch girl, und dem rheinischen gor, gorich (gering, armselig) besteht, ist etymologisch noch nicht gut verstanden. War’s das? Nein.

Als Stadt an einem fischreichen Strom kannte das Wienerische den Peitzger oder Schlammbeißer (Taxonym: Misgurnus) aus der Gattung der Schmerlen. Die Art verfügt über eine ausgeprägte Darmatmung. Der an der Oberfläche geschluckte Luftsauerstoff wird im stark durchbluteten Darm aufgenommen. Dies erlaubt dem Peitzger das gemütliche Leben auch in sauerstoffarmen Gewässern. Vor Wetterwechseln wird die Art oft unruhig und schnappt an der Wasseroberfläche nach Luft, weswegen die Peitzger auch Gewitterfurzer genannt werden. Regional sind die Fische auch auch als Furzgrundel bekannt, weil sie beim Ergreifen einen pfeifenden Ton von sich geben, indem sie Luft aus dem Darm entlassen.

Das Wort Peitzker für den seltsamen Fisch mit den grantigen Darmwinden wurde im 14. Jahrundert aus dem Slavischen entlehnt, wo polnisch piskorz, tschechisch piskoř, slowakisch piskor, ukrainisch pyskir, slowenisch piškur, kroatisch piškor soviel wie Pfeifer bedeuten. Daraus formte das Deutsche Beitscher, Beißker, Peitzker, und das Wienerische die Bißgurn.

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Ein Gedanke zu „Wenn die Bißgurn pfeift“

  1. Liebe Frau Andrea.

    Wenn Sie schon das Taxonym Misgurnus nennen, wieso leiten Sie nicht zumindest den Teil „gurn“ davon ab? Wäre doch naheliegend. Zumindest eine Verwandtschaft wäre da; wer die ältere ist?

    Dass „Bis“ und „Mis“ sich auch sehr ähnlich anhören, würde doch passen. (Volksetymologies wird ja vieles unrichtig an die eigene Sprache angepasst.) Beide werden doch mit einem langen I ausgesprochen, bzw. bein „Biss“ und „Miß“ beide mit einem kurzen. Zwischen Miß und Mies will ich diesmal nicht herumdeuteln, obwohl es wschl. Verwandtschaften gibt.

    Überzeugender ist für mich Ihre Verwandtschaft mit dem slavischen Bezeichnungen, aber auch da: wer war früher, oder stammen beide aus derselben Wurzel?

    Mit freundlichen Grüßen
    Kind regards

    Dr. Hermine Grossinger
    Baden/Austria

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