Schach Österreich-Edition

„Aus Spiel wurde ernst und Ernst ist jetzt elf!“ Der Österreichische Witz, sei er gut oder schlecht erzählt, schreckt auch vor genealogischen Wahrheiten nicht zurück, notabene sie immer nur das Allgemeine ausdrücken, nie jedoch das Spezielle. Ernst und Helga, Kevin und Bianca, Noah und Marie sind stets Sendboten des Zufalls, niemals Ergebnisse spielerischer Redlichkeit.

Ein beliebtes österreichisches Spiel, nein falsch: DAS beliebteste österreichische Spiel ist „Mensch ärgere Dich nicht“. Es hält niemals, was sein Titel verspricht, und wird im ganzen Land gespielt. Nicht nur im warmen Wohnzimmer, auf den dafür vorgesehenen Spielbrettern, nicht nur mit kleinen bunten Figuren aus Holz. „Mensch ärgere Dich nicht“ ist ein österreichisches Struktur-Prinzip. Es zielt darauf ab, den Zufall (sprich: die Würfel, die Medien, die Öffentlichkeit) dafür zu instrumentalisieren, die anderen vom Spielbrett zu schießen, selber aber unbeschadet durchs Feld zu ziehen. 

Wie so vieles, was wir als originär österreichisch, europäisch, westlich erachten, kommt auch „Mensch ärgere Dich nicht“ aus dem Orient. In Indien heißt es Pachisi, in Malaysia Dhola, in Arabien Parchis und im Iran, das uns auch den Intelligenztest Schach geschenkt hat, Pachis. An den Höfen der Maharadschas, heimliches Vorbild österreichischer Parteivorstände, wurde es bisweilen mit Bediensteten als Figuren, auf entsprechend großen Spielfeldern gespielt. Es wundert kaum, dass Statuten und Gesetze in Österreich „Spielregeln“ heißen. Deren Brechen, Verändern und Neuinterpretieren eine größere Sünde bedeutet, als ernste Vorgänge im demokratischen Miteinander „Spiel“ zu nennen. 

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 10. Juni 2023.

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