Sparvester

Der österreichische Jahresausklang folgt einem landesweit gültigen Ritual. Das ist erstaunlich, denn über den richtige Ablauf des letzten Dezembertages zirkulieren weder Bücher noch Anleitungen. Silvesterfeiern ist gültiges Volkswissen.

Des langen Tages Reise in die Nacht beginnt mit dem legalitätsfernen Einkauf chinesischer Sprengmittel und dem Einbunkern von Sekt. In einschlägigen Hütten werden Glückbringer erworben: Kleeblätter, Hufeisen, Giftpilze, Zylinder, Marienkäfer, Rauchfangkehrer und Schweinchen. Aus nah und fern künden Böller und Kracher von züngelnder Vorfreude. Das Staatsfernsehen sendet lustige Spielfilme aus den 60ern und 70ern, dazu launige Jahresrückblicke, aufgelockert mit Kommentaren von Kabarettisten und Karikaturisten. Jahrzehntelang sorgten die Deutschen mit einschlägigem Humor und Karnevalsmusik für Unterhaltung, längst leistet auch die heimische Television Brachialkomisches. Eingeblendete Studiouhren und private Zeitmesser künden vom schleppenden Fortschreiten der Zeit.

Auf russenden Kerzen werden jetzt hohle Zinnklumpen aufgeschmolzen und in wassergefüllte Salatschüsseln entleert. Die Ergebnisse werden als Goldschatz, Delphin, Segelboot und Tropeninsel gedeutet. Zeit für buntes Konfetti und kilometerlange Papierschlangen!

Das Knallen wird stärker und entlädt sich schon viele Minuten vor dem Jahreswechsel in lärmendem Furor. Die Einspielung der Pummerin wird hörbar, der Donauwalzer erklingt, die Menschen weinen, lachen, tanzen, stoßen mit Sekt an, und zünden ihre Raketen. In einer schwefeligen Wolke aus Rauch taumelt das Alte ins Neue Jahr.

Prosit!

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 31. Dezember 2022.

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