Rücktritte in Österreich

Wir müssen gnädig sein, ja vielleicht sogar verzeihend mit der Speerspitze des Österreichischen Personals. Schiefe Optik wird allzuoft als Verfehlung diskreditiert, schlechter Stil als Missetat gedeutet. Bisweilen wird dem Land der Berge eine fehlende Rücktrittskultur nachgesagt. Das ist ungerecht, weil der Begriff hierzulande eine ganz andere Bedeutung hat.

Trotz seiner topografischen Besonderheiten und lange vor den Grünen war Radfahren in Österreich die einzige kostenfreie Möglichkeit, von da nach dort zu gelangen (das schlichte Gehen einmal ausgenommen). Der Nachwuchs wird daher schon vor dem Gehenlernen ans Dreirad gewöhnt, Kinderfahrräder liegen unter allen Christbäumen, Österreich ist von Jugendbeinen an pipedal unterwegs. Zumindest am Land. Wo die Musik spielt.

In die Pedale zu treten, ist dem Laufen nicht unverwandt. Nur das Bremsen auf dem Rad war jahrzehntelang archaisch gelöst. Um Anzuhalten trat man zurück. Wir erkennen das Dilemma. Der Rücktritt ist in Österreich fest mit dem Bremsen am Rad verbunden. Zurückgetreten wird nur am Rad. Kaiser sterben oder gehen ins Exil. Landeshauptleute und Bürgermeister übergeben das Amt, der Klerus beendetet das Walten mit dem Heimgang ins Himmelreich. Helden verblühen am Feld der Ehre.

Der Rücktritt hat keine politische Tradition, er ist dem Fahrrad vorbehalten. Man versteht, wieso Funktionen ruhiggestellt werden, Sonderurlaube, Innendienst angetreten wird oder schlicht Überstunden abgebaut werden. Maximal tritt jemand zur Seite.

Das Geschasstwerden gibt es auch nicht mehr.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 26. November 2022.

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