Wenn der Fetzenschädel brummt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 29/2022 zum 27. Juli 2022

Liebe Frau Andrea,
in Sigi Marons Lied „Servas Mariedl“ beschimpft die Protagonistin ihren Antagonisten als „Fetzenschädel“, auf gut Englisch „raghead“. Letzteres ist rassistisch, ersteres nicht. Was ist die Ursache dieser unterschiedlichen Konnotationen?
Mit besten Grüßen,
Daniel Grumiller, Nordbahnviertel, per Email

Lieber Daniel,

springen wir über Ärmelkanal und Großen Teich und sehen uns „raghead“ an. Die Beleidigungsformel sieht auf den ersten Blick wie eine direkte Entsprechung unseres „Fetzenschädel“ aus. „Head“ bezeichnet das Haupt, „rag“ den Lumpen, den Fetzen. Das Wort kommt vom alt- und mittelenglischen ragg, ragge. Raggig bedeutet zottelig, borstig, zerlumpt und ist verwandt mit rag (Teppich) und rough (rauh). In kolonialem und postkolonialem rassistischem Sprachgebrauch verband sich damit das Kopftextil nichteuropäischer Ethnien, Kopfbedeckungen, die man sprachlich und kulturgeschichtlich unscharf unter Turban summieren könnte. Die Beleidigungsformel „raghead“, synonym mit „towelhead“ (Handtuchkopf) zielte und zielt in rassistischer Absicht auf alle Träger ethnischer Kopfbedeckungen aus gewickeltem Textil.

Die österreichische Schmähung Fetznschädl (Fetzenschädel) ist frischeren Datums, sie scheint erst in den 60ern Fahrt aufgenommen zu haben. Für eine Herkunft aus der Vogelscheuche ist sie zu jung. Die einschlägige Gaunersprache kennt den Fetznschneida (den Banknotenfälscher oder Lumpensammler), den Fetznstieglitz (die Behelfsleiter aus verknoteten Tüchern) und den Fetznwachsla (den Fetischist). Fetz ist der Hunger, Fetza der Kleiderdieb (und Onanist). Als Fetzarei gilt die Rauferei, der Wirbel, der Diebstahl, die Sauferei, die Schwerarbeit. Der Fetzen ist die größere Banknote, das billige Kleid, das ordinäre Weib und: Der Rausch. Der „Fetzen“ der Betrunkenen kommt aus der Sprache der Karambol-Spieler, die im Kaffeehaus ihrer Billiardleidenschaft nachgingen. Die „Fettn“, kommt vom französischen „effet“ und bezeichnet den Drall, das Taumeln der Kugel. Der Fetzenschädel ist im Wienerischen also nicht der Turbanträger, sondern der Taumelnde, der Betrunkene.

Prost.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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