„Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben. Ich kann euch keine Gaben für Weihnachten geben. Kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden… Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich …“
Die legendären Sätze zählen zum innersten Mythenschatz der Zweiten Republik. Bundeskanzler Leopold Figl sprach sie am 24. Dezember 1945. Im Radio. Von dieser Rede gibt es allerdings weder eine Tonbandaufnahme, noch ein Manuskript, und gehört hatten die Ansprache auch nur ganz wenige. Weswegen Figl die Rede 20 Jahre später ein zweites Mal hielt. Im Spital, schon gezeichnet von schwerer Krankheit. Diesmal liefen die Aufnahmegeräte.
Noch ist nicht klar, wer die Weihnachtsansprache 2022 halten wird, und ob es da noch um Deckel auf Töpfen, Kaltes Duschen und Raumwärme unter 19° gehen wird. Wird uns Lächlerin Leonore Lebenstipps geben? Kauderwelschkanzler Karl Kräuterschnaps ausschenken oder K.-o.-Tropfen? Und was wird der Bundespräsident sagen? „So sind wird nicht?“ „So kalt ist uns nicht?“ Oder werden wir Weihnachten 2022 Rosenkranz beten? Den Pogo tanzen?
Wer wird die Sendung „Licht ins Dunkel“ sehen, wenn die Zuseher selbst im Dunkel sitzen und das Licht von der letzten Kerze kommt? Und wie wird die Nation von den Durchhalteparolen erfahren, wenn sie niemand mehr hören wird können, weil die Handys abgesperrt sind und die Ladegeräte nicht mehr laden? Worauf werden wir hoffen?
Dass in 20 Jahren jemand alles nochmal aufnimmt. Fürs Archiv.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 30. Juli 2022.