Neue Gutscheine

Das gesellschaftliche Leben der Österreicherin, des Österreichers beginnt im Kindergarten. Richtig Fahrt nimmt es in der Schule auf, wo wir Lesen und Schreiben lernen (und in Maßen rechnen). Wir lesen Geschichten, schreiben Aufsätze und Nacherzählungen, rechnen mit Äpfeln und Birnen, später mit Zahlen. Wörter entgleisen, Zahlen taumeln. Die österreichische Seele antwortet mit Kreativität, im Schulalltag Schummeln genannt. Alle tun es, denn Österreich ist ein Land der Kunst. Wer sich weigert (weil zu klug oder zu dumm) wird zum Außenseiter.

Bald nach dem Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen Österreicherin und Österreicher die Kombination dieser Fertigkeiten, das Verfassen eines Gutscheins. Wir lernen das fürs Leben. Willkommene Anlässe zur Gutscheinerstellung sind Geburts- und Namenstage, und die Geschenkefeste Weihnachten, Ostern und Muttertag. Bar erklecklichen Kapitals werden Sachleistungen versprochen. Die Einzelanfertigungen sind in der Regel mit Zeichnungen verziert, mit Herzchen, Regenbögen und Zierleisten aller Art. Die Wertpapiere aus Kinderhand handeln von Dienstleistungen: „Frühstück ans Bett“, „Bravsein ohne Anlass“, „Zimmer aufräumen“. Mütter rührt das, Väter rührt die Rührung der Mütter, alles wird gut. Geld fließt keines. Niemand bereichert sich, niemandes Sparschwein leert sich. Liegt doch das Wesen des Gutscheins in seiner Unverbindlichkeit. Gerne wird er verlegt, zu spät oder niemals eingelöst, in der Regel vergessen. Im Vergessen aber liegt unsere Kernkompetenz.

Österreich ist gut. Der Schein trügt. Als Kompromiss dient der Gutschein.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 18. Juni 2022.

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