Im Amt ist immer Mahlzeit

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 21/2022 zum 25. Mai 2022

Liebe Frau Andrea,
neulich sitzen wir in geselliger Runde im Wirtshaus beisammen und machen uns über die Gepflogenheit in österreichischen Amtsstuben lustig, einander zwischen 10.30 Uhr vormittags und 15.30 Uhr nachmittags mit „Mahlzeit“ zu begrüßen. Bis jemand die These aufstellte, dies sei in den dunkelsten Stunden der Geschichte unseres Landes eine antifaschistische Widerstandshandlung gewesen. Die „ostmärkischen“ Beamten hätten sich zur Zeit des Nationalsozialismus mit „Mahlzeit“ begrüßt, auf dass sie nicht „Heil Hitler“ sagen mussten. Halten Sie das für glaubhaft?
Mit herzlichen Grüßen,
Günter Kaindlstorfer, Margareten, per Email

Lieber Günter,

es liegt in der Natur der Sache, dass der Gruß „Mahlzeit“ nicht in Benimmfibeln der Zeit empfohlen wurde, sondern sich wohl als Selbstläufer etablierte. Bundesdeutsche verwenden den Gruß kaum, verorten ihn aber im deutschsprachigen Südosten, und da eher in jener Kulturkohorte, die „politically incorrect“ als Unterschicht bezeichnet wird. Jedenfalls wurde der Gruß schon vor der Nazi-Zeit verwendet. Die genaue Karriere des Begriffs bleibt noch zu erforschen. Dennoch sei erlaubt, die Theorie in Erinnerung zu rufen, die 2006 in dieser Kolumne vorgestellt wurde.

Gelernte Österreicher, Katholiken und Klerikalfaschisten waren einander bis zum Einmarsch Hitlers mit der Aufforderung „Grüß Gott“ begegnet, Sozialisten mit dem solidarischen Gruß „Freundschaft“ oder dem agnostischen „Guten Tag“, wienerisch „Daaag“ ausgesprochen. Nationalsozialisten schließlich, und die waren jetzt auch amtstechnisch am Ruder, wünschten wem auch immer „Heil Hitler!“ Und sie erwarteten das auch von der Gegenseite. Ein gedeihliches Zusammenleben auf Beamtenebene war in den noch stark monarchistisch geprägten Amtsgängen Österreichs nur mit einer unverfänglichen Begrüßung möglich. Die wenig elegante, aber ungefährliche Grußform „Mahlzeit“ – eigentlich „ich wünsche Ihnen eine gesegnete Mahlzeit“ – umschiffte die Klippe, dem Falschen zur falschen Zeit das Falsche zu wünschen. „Mahlzeit“ wird stets „hochdeutsch“ ausgesprochen, was sich in etwa wie „Maal-Zett“ anhören sollte, um authentisch zu wirken.


comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „Im Amt ist immer Mahlzeit“

  1. Liebe Frau Andrea,
    Ich habe Ihren Artikel über den Gruß „Mahlzeit“ mit Interesse gelesen. Darf ich dazu noch etwas beitragen?
    Ich war vor ca. 30 Jahren in China und hatte davor zwei Jahre Chinesisch gelernt, um mit meinen Freunden ohne Reisebüro unterwegs sein zu können. Und da habe ich erfahren, dass es (zumindest war das damals so) einen Gruß gibt, der ab Mittag gilt und „ni chi fan le ma“ heißt, was „hast du heute schon gegessen“ bedeutet. In der Früh sagte man noch „ni hao“, was „du gut“, also, es möge dir gut gehen, heißt.
    Vielleicht ist das „Mahlzeit“ auch von dem Wunsch armer Menschen beseelt, die anderen und man selber möge genug zu essen haben?!

    Liebe Grüße
    Ingrid

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