Heringe am Teller und vorm Zelt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 10/2022 zum 9. März 2022

Liebe Frau Andrea,
die Fisch-Saison hat in Österreich gerade Hoch-Zeit (Fasching), aber bald werden Heringe nicht mehr verspeist, sondern als Zeltbefestiger genutzt. In Frankreich heißen die Sardinen! Wie kam der Pflock zum fischigen Namen?
Mit öligen Grüßen aus der Sardinendose,
Hélène Stadelmann, per Email

Liebe Hélène,

wie sie richtig erforschten, heißt jener (meist metallene) Verankerungsbolzen, mit dem Zelte, Planen, Netze und Masten über Spannseile in fester Lage am Grund befestigt werden: Hering. Wer je zelten war, mit den Eltern am Campingplatz, als Kind bei den Pfaderern (Pfadfindern) oder irgendwann adult im Abenteuerurlaub, wird die Wichtigkeit des Herings für die Qualität des Zeltglücks kaum unterschätzen. Nach Zusammenschau der Etymologien kommt der Zelte Hering über althochdeutsch haring, hering, und mittelhochdeutsch hærinc, herinc von lateinisch „haerere“, hängen, hängen bleiben, kleben, stecken. Ob „harren“, „verharren“ direkt verwandt ist, muss noch ungeklärt bleiben.   

Wie kommt nun der Fisch zum Zelt? Ihr Hinweis aufs Französische, wo der flache, winkelig gefalzte, und damit verdrehungsichere Zeltpflock „Sardine“ heißt, gibt uns den entscheidenen Hinweis. In Kenntnis der biologischen Verwandtschaft, der ähnlichen Größe und Farbe von Sardine (Sardina pilchardus) und Hering (Clupea harengus) hat die deutschsprachige Volksetymologie haerere, harren und Hering in eins geworfen. Aussschlaggebend für die Nachhaltigkeit dieser Zuschreibung war gewiss die Ähnlichkeit der Form der blechenen Zeltpflöcke und des billigen, metallisch glänzenden Speisefisches.

Das Wienerische spricht beide Heringe, den Zelthering wie den Speisehering noch althochdeutsch, nämlich „Haring“ aus. In Anlehnung an die Form bezeichnet die Schnitzelmetropole mit Haring die magere Person, den dünnen, meist männlichen Menschen. Bisweilen zirkuliert als Schimpfwort für Starke Raucher die Invektive „Gsöchta Haring“ (geselchter, geräucherter Hering). Als „Haringa“ firmierte der Fischhändler, als „Haringbendiga“ (Heringbändiger) der Greißler, die überfüllte Straßenbahn war das „Haringdrichal“ (Heringtrühelein).

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „Heringe am Teller und vorm Zelt“

  1. Liebe Frau Andrea,

    vielen Dank für ihre Erklärung, und für das Wunderschönes Wort Haringdrichal… ich wußte gar nicht das ich, in Paris aufgewachsen, nun seit länger in Wien lebend, in der metro zum U-Bahn von Sardine zu Hering wurde, obwohl ich auf französisch immer noch in der Kategorie „petite crevette“ eingeordnet werde (1,58m 52Kg). Nochmals vielen Dank für all die Reisen im Kopf die Sie uns ermöglichen. Hélène Stadelmann

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