Die österreichische Tastatur

Jede Zeitung hatte einen (es war meistens ein Mann). Von der auflagenstarken Tageszeitung bis zum hektografierten Schülerblatt. Den Leserbriefschreiber. Er saß nächtens an seiner Schreibmaschine und hämmerte seine Gedanken in die Tastatur. Der Leserbriefschreiber hatte seine Leibthemen, wurden welche davon ins Blatt gerückt, konnte die Redaktion auf des Leserbriefschreibers Sofortreaktion zählen. In der guten alten Zeit dieser Verhältnisse rechnete man einem Leserbriefschreiber etwa 2999 ähnlich Erregte zu. Nur der eine nahm die Last auf sich. Das Aufstellen der schweren Maschine, das Einspannen von Blatt, Kohlepapier und Durchschlag, die sorgfältige Fokussierung der Wut auf einen gerade noch publizierbaren Text. Nach dem Tippen und Kuvertieren musste der Brief aufs Postamt getragen werden und tunlichst Sorge getragen, dass er rechtzeitig vor Redaktionsschluss in der Zielzeitung (jeder Lesernbriefschreiber hatte eine) eintraf. Eine Veröffentlichung bestätigte den Leserbriefschreiber in seinem Tun.

Hatten Zeitungen keine Leserbriefe, dann schrieben sie sich welche. Die kleine Schwester des Leserbriefs war die Kündigung des Abonnements. Eine Drohung, die meist ins Leere ging, weil die Kündiger entweder gar kein Abo besaßen, oder dieses nachweislich nicht kündigten.

Der Leserbrief heißt jetzt „Email an die Redaktion“. Sein Autor (überwiegend ist er männlich) treibt sich längst in den Sozialen Medien herum. Dort kennen wir den Leserbriefschreiber als Poster, als Druko (Drunterkommentierer) und als Troll. Getrieben von der guten alten Veröffentlichungswut.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 27. November 2021.

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