Jenseits allen Entrischen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 31/2020 am 29. Juli 2020.

Liebe Frau Andrea,
ich wohne im schönen Sonnwendviertel direkt am Helmut-Zilk-Park.
Neulich, als ich abends im Bett lag und draußen noch die Kinder lachen hörte, dachte ich so bei mir: „Ur super, unser Park ist gar nicht enterisch“. Ich musste innerlich lachen, verwendeten diese Beschreibung für gefährliche, finstere Ecken, die wir Kinder meiden sollten, doch immer all meine weiblichen Verwandten. Ich hatte das Wort nie von jemand anderem gehört. Existiert es überhaupt?

Liebe Grüße aus dem 10. Hieb,
Jasmin Cay, per Email

Liebe Jasmin,

ich darf Sie beruhigen, der Begriff „entrisch“ existiert. Er ist gutes altes Wienerisch und wurde von von ihren weiblichen Verwandten völlig richtig verwendet. Im sprachlichen Weichbild der Stadt ist das Entrische in Vergessenheit geraten, weil migrantische Bevölkerungkohorten (deren Größte: die Deutschen) die Vokabel nicht kennen und die Stadt den Anteil entrischer Gegenden massiv verknappt hat.

Was aber ist entrisch? Das mittelhochdeutsche „entrisch“ bezeichnete Altes und Altertümliches, es kommt vom althochdeutschen „entrisc“, „antrisc“, fremd. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Bedeutung verschoben und bezeichnete statt des Fremden das Unheimliche, Gruselige, Schaurige. „Mia is gands entrisch wuan“, sagt man und meint, man habe sich ganz unheimlich gefühlt. Zum psychodramatisxche Aspekt von entrisch gesellte sich zudem ein ortsanzeigender, wenn man etwa von den „entrischen Gründen“ sprach, den Äckern irgendwo „drüben“, oder vom entlegenden Stadteil, „entn in Fluaridsduaf“ (drüben in Floridsdorf). Dieses „entn“ kommt ebenfalls aus dem Althochdeutschen, allerdings von „ënont“, mittelhochdeutsch „ënent“. Heute würde man dafür eher „drent(n)“, „drim“, „drimad“, also drüben sagen.

Mit der Ente hat unser Begriff überhaupt nichts zu tun, auch wenn viele Wasservögel Floridsdorfer sind, heißt Anas platyrhynchos (die Stockente) im Wienerischen doch Antn. In Verwirrung befanden sich daher Wiener Giftler (Drogenkonsumenten). Nach Einwurf des Stimmungsaufhellers Antapetan®, genannt „Antn“ konnten sie sich auch außerhalb Floridsdorfs ganz schön entrisch vorkommen.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert