Die neue Eiskarte

Österreicher und Deutsche trennt bekanntlich nicht nur die Sprache, sondern auch die gemeinsame Teilnahme am Fremdenverkehr. Die Rollen der Beteiligten sind dabei fair verteilt. Die Deutschen kommen nach Österreich. Niemals umgekehrt. Die Deutschen bringen das Geld. Die Österreicher tragen es auf die Bank. Um es den Deutschen bei dieser Transferleistung gemütlich zu machen, betreibt das Land der Berge eine Myriade von Penisonen und Hotels, von Wohlfühloasen und Erlebniskasernen. Die Gäste (man spricht: „Gästi“) urlauben am Bauernhof, im Almdorf und im Schlösschen. Winters wird seilgebahnt und kitzgelocht, sommers rundgewandert und mountaingebiked. Dazwischen gibt es Halligalli.

Am wichtigsten ist der Deutsche selbst (die Deutsche ist immer mitgemeint), dann kommt der touristische Begegnungsort, dann kommt lange nichts, dann noch länger nichts, und dann kommt die Kultur. In dieser Reihenfolge werden daher auch die Prioritäten gesetzt. Man spricht vom Wiederaufbau und meint das Wiederaufsperren. Das Land wird hochgefahren, wo doch nur weitergewurstelt wird. Das Jodeln und das Trompeten ist noch zu gefährlich, aber das Eisschlecken ist erlaubt. Auf dem Felde der Kaltgastronomik bringen die Gästi neue Sitten ins Land. Im corona-alerten Norddeutschland regelt eine Verordnung bekanntlich die Konsumation von Mitnehmspeisen. Eisessende haben sich an „erstes rasches Lecken an einer Eiskugel während des zügigen Sichentfernens von der Eisdiele“ gewöhnt. Den „Verzehr des Resteises“ absolvieren sie im Sicherheitsabstand von 50 Metern vom Aushändigungsort.

Deutsche. Wir lieben sie.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 23. Mai 2020.

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