Wenn man’s wieder mal gnädig hat

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 16/2020 zum 15. April 2020.

Liebe Frau Andrea,
„ich hab’s gnädig“ bzw. in südweststeirisch „i hobs gneadi“ sagen dieser Tage wenige, weil ja kein Stress. Aber wie kommt es zu dieser Phrase? Wie kann man es „gnädig“ haben? Ohne dass ich es festmachen kann, wie genau: es klingt paradox.
Danke für erhellende Erklärungen, herzlich
Regina Novak, per Email

Liebe Regina,
auch das Wienerische kennt die Wendung. Noch aus precoronaren Zeiten galoppierender Hast. Wer es eilig hat, „hat’s gnädig“. In den dialektbefreiten Gegenden Döblings, Hietzings und in der Josefstadt würde das allerdings niemand sagen. Eine Gnädige hat es in Wien niemals gnädig. Allenfalls würde etwas „pressieren“. In den Niederungen der sprachlichen und sozialen Normalität verhält es sich aber ähnlich wie bei Ihnen daheim und in den meisten Gegenden Österreichs und Bayerns. (Ob es auch die Vorarlberger gnädig haben, müssen alemannische Instanzen klären.)

Die Verwirrung, die wir hier erörtern, rührt daher, dass zwei Wörter sehr unterschiedlicher etymologischer Herkunft gleich ausgesprochen werden: gnédi (gnädig) und gnédi (genötig). Das eine kommt von der Gnade (wienerisch Gnōd) und hat sich in der Anredeform gné wie in „gné Hea“ (gnädiger Herr), gné Frau (gnädige Frau), gné Fräun (gnädiges Fräulein) selbstständig gemacht. Das andere gnédi kommt von der Not (wienerisch Nod), wovon wiederum „nodich“ (notig) für arm, aber auch geizig, knauserig kommt. Wer es also gnédig hat, ist genötig, hat zeitliche Not und ist damit in Eile. Das Deutsche Wörterbuch des Philologen- Bruderpaares Jacob und Wilhelm Grimm kennt genötig, nötig, dringend, eilig, mittelhochdeutsch „genœtic“, und damit verwandt, kärntnerisch „gneatik“ auch in Bezug auf eine Arbeit, ja die Arbeitende selbst. Die „gnetike Frau“ am Land wäre damit eine, die dringender Arbeit nachkommt. Ganz weit weg von der „gnädigen Frau“ in der Stadt, die weder Dringlichkeit noch Arbeit belastet.

Von unserem gnédi (genötig) leitet sich auch ein Hauptwort ab. Zur Eile sagt die Wienerin (Wiener sind immer mitgemeint) nämlich nicht Eu oder Äu (obwohl es äulich für eilig gibt), sondern „der“ Gnéd. Wer „an Gnéd hod“, ist in Eile. Dieser Tage mit Weile.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

2 Gedanken zu „Wenn man’s wieder mal gnädig hat“

  1. liebe frau dusl, 
    mit „gnädig“ haben es vorarlbergerInnen weniger, aber mit „eilig“  – „g’nouət“, wie es etwa in lustenau heisst, oder auch „nouətli“, – aus dem mittelhochdeutschen.
    danke für ihre spannende sprachbetrachtung!

  2. Wir in Windischgarsten, im gebirgigen Teil von Oberösterreich, haben es gnädig, wenn wir es eilig haben oder wir haben eben eine Gnäd, eine Eile eben. Dreißig Kilometer westlich, in Micheldorf, wird für die selbe Eile das Wort drawig verwendet.
    Kurz gefasst: eilig = gnädig = drawig.

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