Wieso trinken wir Tschipkewasser?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 06/2020 zum 5. Februar 2020.

Liebe Frau Andrea,
meine beste Freundin sprach letztens von Tschipkewasser (in Verbindung mit dünnem Kaffee). Ich verstehe sonst immer, wovon sie spricht, aber diesmal wusste sie es selber nicht so recht und wir rätselten erfolglos. Jetzt können nur noch Sie uns helfen! Meine Freundin kennt den Begriff von ihrer Mutter, Jahrgang 1938, geboren in Wien. Diese hat den Begriff wiederum von ihrem Vater übernommen, Jahrgang 1895. Er kam als kleines Kind mit ca. drei Jahren aus Böhmen nach Wien.
Herzlichen Dank und liebste Grüße,
Uschi Koch, per Email

Liebe Uschi,

im Hinweis auf den böhmischen Großvater verdichtet sich die mögliche Herkunft unseres Begriffs. Geläufiges Wienerisch ist es nicht, im Internet zirkulieren keine Deutungsversuche und auch in den etymologischen Standardwerken findet sich nichts Spezifisches. Sehen wir uns den Wortbestandteil „Tschipke“ an. So nannten die Bewohner der deutschen Sprachinseln in Mähren gedörrte Apfelscheiben. Das Wort wurde von den tschechischen Nachbarn entlehnt, es kommt von mährisch štípka, Spalte. In Dörfern, in denen aus klimatischen Gründen kein Obst gedieh, besorgte man sich Dörrobst ursprünglich durch Tausch gegen Eigenerzeugnisse. Meist waren es ärmere Leute, die getrocknete Früchte anboten, um lebenswichtige Lebensmittel einzu­tauschen. Während der langen Winter spielt das haltbare Trockenobst, meist Äpfel und Birnen, die zum Trocknen in Spalten aufgeschnitten wurden, eine große Rolle.

Wie aber kommen Wasser und Tschipken zu einander? Der Olmützer Oswald Raab erinnert sich in einem Beitrag zu den Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste: „Tschipkewasser trank man, um nüchtern zu bleiben“. Daran schließt die Erkenntnis, dass man Dörrobst vor dem Verzehr in Wasser einlegte, um es aufzuweichen und den Fruchtschnitzen den stark abführenden Zucker zu entziehen. Das braune, süße, aber weitgehend geschmacklose Tschipkewasser diente nebenbei als Hausmittel gegen allzu schnelle Alkoholisierung. Sein Aussehen könnte an dünnen Kaffee erinnert haben. Eine Verwechslung von Tschipkewasser mit Ziguriwasser (Zichoreekaffee) wäre auch möglich.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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