Wie tödlich ist die Kokosnuss?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 43/2019 zum 23. Oktober 2019.

Liebe Frau Andrea,
als passionierter Kastaniensammler bin ich zunehmend irritiert von Aussagen wie „weltweit werden jährlich mehr Menschen von herabfallenden Kokosnüssen getötet als durch Haie“, je näher herabfallende Kastanien in meiner Umgebung einschlagen. Gibt es Statistiken über durch Kastanien verursachte (Kopf-) Verletzungen, oder gar Todesfälle?
Vielen Dank, mit freundlichen Grüßen,
Christian Györgyfalvay, per Email

Lieber Christian,

der Markt der forensischen Statistiken hat wenig Angebote auf dem Feld der Kastanienunfälle, wiewohl auch hier gelten darf: „Absence of evidence is not evidence of absence (das Nichtvorliegen des Nachweises ist kein Nachweis des Nichtvorliegens).

Immerhin können wir die Statistiken über die anderen beiden Todesarten befragen, den Exitus durch die herabfallende Kokosnuss und das Hinscheiden durch den Haibiß. Jährlich registriert man durchschnittlich weniger als 100 Haiangriffe, knapp fünf davon enden tödlich. Die tödlichen Angriffe von Menschen auf Haie (Selachii) dürften diese Zahl um Zehnerpotenzen übersteigen.

Wie kommt nun die Kokosnusspalme (Cocos nucifera) zu ihrem schlechten Image? Die urbane Legende von der tödlichen Kokosnuss hat ihren Ursprung in einem 1984 veröffentlichten Forschungspapier eines Dr. Peter Barss mit dem Titel „Verletzungen durch fallende Kokosnüsse“, publiziert im Journal of Trauma. In seiner Arbeit beschrieb Barss, Primarius eines Provinz-Spitals in Papua-Neuguinea, dass über einen Zeitraum von vier Jahren 2,5% der Traumaaufnahmen von Personen stammten, die durch herabfallende Kokosnüsse verletzt wurden. Dabei waren mindestens zwei Todesopfer zu beklagen. Daraus wurde fälschlicherweise auf eine weltweite Kokosnuss-Todesrate von 150 geschlossen.

Im März 2012 wurde Barss von den Annals of Improbable Research der „Ig Nobel Award“ für Forschungsergebnisse zugesprochen, die „nicht reproduziert werden können oder sollten“. Als Reaktion auf die zweifelhafte Auszeichnung gab Barss dem Canadian Medical Association Journal bekannt: „Wenn Sie diese Verletzungen täglich behandeln, ist das überhaupt nicht lustig.“

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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