Tote-Hosen-Zeit

‚Mögest Du in interessanten Zeiten leben‘ gilt als Empfehlung für Leute, denen man Schlechtes wünscht, jedenfalls aber nichts Gutes. Gemeinhin zirkuliert der Spruch als Fluch. Gegenzauber ist keiner bekannt. Die Chinesischkeit der Formel ist nicht wirklich belegt, mal wird für die Wendung Konfuzius bemüht, mal chinesische Zuträger britischer Diplomaten, mal die Autoren ihrer biographischen Randnotizen.

Ganz anders die Beliebtheit des Satzes in Kreisen der tages- und wochenaktuellen politischen Beobachtung. Ja der Menschheitsbeobachtung überhaupt. Nicht ohne Grund heißen Blätter, die die Welt bedeuten ‚Zeitschriften‘. Die Fernsehsendung, die in Österreich die Welt bedeutet, heißt gar ‚Zeit im Bild‘.

Interessante Zeiten sind deshalb von großer Eminenz für die Verbreiter interessanter Neuigkeiten, weil niemand an Uninteressantem interessiert ist, und noch weniger an Altem. Dazu kommen Unsicherheiten in moralischer Hinsicht. Wir erinnern uns an das produktive Diktum der Arbeit am journalistischem Boulevard: ‚Only bad news are good news‘, nur schlechte Neuigkeiten sind gute.

Fakten, ein anderer Rohstoff der Nachrichtenerzeugung sind ihrerseits Kunstprodukte, ist doch lateinisch ‘factum‘ schlicht das Gemachte. Dass ein sehr ähliches Wort im Englischen gerade Konjunktur hat, nämlich „fake“, belastet unsere Zuneigung zur Nachricht, wörtlich das Nachgereichte. Alles beim Alten also.

Segensreich daher die Tote-Hosen-Zeit. Zeit, innezuhalten, nachzudenken, Wissen in Erkenntnis zu transformieren, redlich zu sein.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 22. Juni 2019.

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