Herbstfarben

Das österreichische Jahr beginnt mehrmals. Und jedesmal anders. Am Silvesterabend (dem offiziellen Jahresausklang) nähert es sich vorsichtig, wenn auch unaufgehalten, bahnt sich den Weg durch Lärm und Laster, um mit dem dumpfen Läuten der Pummerin ein Zeugnis der Unwirklichkeit zu geben. In das Zischen und Krachen von Raketen und Böllern mischt sich die Staatsmelodie, das Initial-Melodikum Donauwalzer. Jetzt wird geprostet und geherzt, die Handys glühen, der Sekt sprudelt in die Flöten. Ein zweites Mal beginnt das Jahr ruhiger, von Katern begleitet, am Folgemorgen, wenn die Philharmoniker ihrem aktuellen Lieblingskapellmeister (nie ist es eine Frau) zufiedeln und das Einüben der neuen Jahreszahl-Endziffer beginnt.

Dann passiert lange nichts, Brutalrekorde der Sommertemperaturen (und allfällige Fußballdepressionen) ausgenommen. Bis der Herbst kommt, mit heißem Atem, und das Land in die Schulzeit stolpert. In der einen Woche der Osten des Landes, in der nächsten der bergige Rest. Damit noch Zeit bleibt, nach den Sommerfrischlern aufzuräumen. Jetzt erwacht auch der Parlamentarismus, das Werfen politischer und publizistischer Granaten. Im Staats-Fernsehen glüht das Normalprogramm auf – Politikbeobachtung, Politikbefragung, Politikbegleitung. Wenn die Kinder in der Schule sind, wenn der Morgen sich zu verspäten, und der Abend zu hudeln beginnt, erwacht das Volksfesteln, das Kirtagen, das Erntedanken, die Gemütlichkeit, das Beisammensitzen. Dann ist die Stube die Welt, die Stammtischkante der Horizont. Dann beginnt das Jahr tatsächlich.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 6.10.2018.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert