Angst vor dem Wageninneren

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 40/2018 zum 3.10.2018.

Liebe Frau Andrea,
neulich stiegen deutsche Touristen in meinen (schon recht vollen) U-Bahn-Waggon und riefen laut: Nachrücken! Herrje, rücken Sie doch nach! Sehen sie nicht, da ist noch viel Platz im Wageninneren. Sind das neue Sitten? Und was antwortet man da?
Ines Lebersorger, Meidling, per Email

Liebe Ines,

diese Kolumne hat sich schon bei früheren Gelegenheiten mit einem sehr ähnlichem Thema beschäftigt, der öffiweit verbreiteten Akutanfrage „Tschulligen, stegen sie os?“, sowie dem mahnenden Vorwurf „Ostegen lassen!“ Als Auslöser wurde dabei die Angst Betroffener ausgemacht, das Austeigetürl in Bim, Bus und U zu spät zu erreichen und den Planausstieg zu verpassen. Die Autorin hat dazu Diskurs-Strategien verschiedener Güte vorgeschlagen, sie reichen vom saloppen „Na, na“ bis zur Gegenfrage „Ähm, ich bin neu hier, wie geht das?“ Best practice ist das stoische und niemals laut vorgetragene „Man wird sehen.“ All dies fand und findet im Rahmen etablierter Kommunikationsstrategien des Wienerischen statt. Touristen und Migranten fügten sich bisher unauffällig in kontingente Schicksalsentwürfe.

Anders der deutsche und insbesondere der ostdeutsche Wiennovize. Aus anderer Mentalitätsgeschichte und pangermanischer Ordnungskultur stammend, verleitet ihn das Phänomen des verstopften Türbereichs zu den von ihnen wahrgenommenen Verbalinterventionen. Wie begegnet man dem deutschen Aufruf, dem Wageninneren in die Falle zu gehen? Zahlreiche grundvernünftige Antworten wurden schon erfolgreich in Stellung gebracht: „Gusch“ ist die kürzeste, „Reiß di zamm, Gsöchta“, die direkteste, „Hau di in Koks, Mameladinga“ die ehrlichste. Dialektischer, wenn auch etwas weniger wirksam ginge vor, wer den (ost-)deutschen Ordnungswart in die Tiefen des Wiener Schmähs entführte: „Es Wogninnare is fia Wappla resawiat!“. Gerne gehört werden poetische Wendungen: „In da Wagonmittn stengan scho die Unsichtboan.“ Ins Psychotherapeutische reichen Empfehlungen wie „ned laud sein, mia miassn uns olle konzentrian“, und „wauns da do z’eng is, hau di in Anasiebzga und leg di am Zentreu.“

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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