Gfrast, Sackl, Baby, Hund

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 13/2018 zum 28.3.2018.

Liebe Frau Andrea,
neulich im Wiener Babytreff in Mariahilf war da eine Mutter mit Ihrem krabbelfähigem Baby. Das Baby war ziemlich neugierig und aktiv (ist doch normal oder?) Die Mutter hat das Baby die ganze Zeit mit „komm her, du Gfrast Sackl“ gerufen (weil es sich dauernd im Raum bewegt hat). Ich kenne das Wort zwar, aber nicht genau die Bedeutung.
Comandantina, bitte übernehmen Sie!
Liebe Grüße, Kubilay Avcı, per Email

Lieber Kubilay,
das Wienerische ist eine Sprache in Bewegung, sie ist so konservativ wie progressiv. Viel Altes ist nicht mehr in Gebrauch, manch Neues ist dazugekommen. Das von Ihnen als gelindes Kosewort reportierte „Gfrastsackl“ dürfte den meisten Wienerinnen und Wienern geläufig sein. Gleichwohl birgt es Missverständnisse, die auch den vermeintlichen Kennern tiafsten Wienerisch’ nicht bekannt sind. Sehen wir uns das Gfrast an. Es zirkuliert eigentlich als Schimpfwort für das schlimme Kind, den bösen Menschen und als chauvinistische Invektive gegen Frauen, wo es die Bedeutung „liederlich“ annimmt. Es kommt vom mittelhochdeutschen „gevraeze“, soviel wie Fresserei, Lust. Das wiederum kommt vom Verb „frezzan“ und ist eine Verschmelzung der Vorsilbe „ver“ mit „essen“. Etwas seltener kann das Gfrast wie das Gfries die Bedeutung „Fresse“ annehmen. Was aber hat das „Sackl“, abgeleitet vom lateinischen Saccus, Sack, mit dem Gfrast zu tun? Passt die Papiertüte zum bösen Menschen, zum schlimmen Kind? Nein. Kommt doch das Sackl von einem altwienerischen Wort, dass den wenigsten unter uns noch irgendetwas sagt, der „Zauck“ (Dsauk) nämlich. Sie ist verwandt mit der mittelterlichen „zohe“ und bezeichnet die Hündin. Als Schimpfwort war die Zauck Synonym mit der liederlichen Frau, der/dem Schlampen und galt in der Unterwelt des alten Wien auch als Bezeichnung für die übelbeleumundete Dirne. Das „Zaukl“ ist in Konsequenz dieser sprachlichen Verhältnisse also die Verkleinerungsform der „Zauk“. Das Gfrastsackl ist also ein Gfrast-Zaukl, ein kleiner gefrässiger (und aus paternalistischer Sicht wohl weiblicher) Hund. Sollten wir politisch-korrigierend alarmiert sein? Ich meine: Nein. Sprache verändert sich, Bedeutungen verschieben sich.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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