Wer ein echter Wiener ist

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 16/2017 zum 19.4.2017.

Liebe Frau Andrea,
immer öfter gibt es bei uns im Freundeskreis Debatten, wer ein echter Wiener sei und wer nicht. Sicher wissen Sie weiter!
Mit besten Grüssen von
Lisa Muchitsch, Graz, Jakomini, zur Zeit Wien, Landstraße, per Twitterdirektnachricht

Liebe Lisa,

ist es das Idiom oder der Wohnsitz, der die Echtheit des Wieners definiert? Aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erreicht uns die Kunde von Jans dem Enikel, Schöpfer der umfangreichen Verswerke „Weltchronik“ und „Fürstenbuch“, der stolz vorgibt, ein echter Wiener zu sein: „(…) hern Jansen eninchel heize ich / des mac ich wol vermezzen mich, / daz ich ein rehter Wienner bin.“ An anderer Stelle legitimiert sich der Stadtschreiber Jans über seinen Sitz im eigenen Haus in der Wipplingerstraße (Wildwerkerstraße).

Bis in die 70erjahre galt als echter Wiener, als echte Wienerin, wer eine böhmische Großmutter hatte, eine ungarische oder eine jüdische. Inzwischen wird wohl auch die türkische, serbische, kroatische, bosnische oder die vorarlberger Oma den Echtheitsstatus nicht schmälern. Am ehesten wäre der Schmäh als Ausweis echter Wienerischkeit zu werten, immerhin kann der kaum gefälscht werden.

Im folgenden altbewährte Gründe ein echter Wiener zu sein: 1) zu wissen, wer in der Hasengasse wohnt und 2) wie man den Namen vom Enkel des Gesuchten ausspricht, 3) die Nummer vom “Hofa sein Haus” zu kennen und 4) den Namen vom “Nockatn sein Köllna”, schon einmal 5) bei Tag im Donnerbrunnen gebadet zu haben und 6) bei Nacht im Stadionbad, 7) den Wienfluss bei Hochwasser und 8) den Zentralfriedhof bei Vollmond gesehen zu haben, 9) an einem Würstelstand fachgerecht einen Eiterfinger mit Kinderschas, einen Buckl, ein Adaxl und ein 16er-Blech bestellen zu können, 10) das Gefühl zu kennen, wie der Gatsch am Neusiedlerseeufer zwischen den Zehen hochquillt, 11) die Schwammerlwiese zu kennen und 16) den Bau eines Wiener Dreiblatt mit Hütchen, 17) die Sockenfarben vom Gschupften Ferl zu kennen, und schliesslich am Graben einmal 18) das Lercherl singen, 19) Thomas Bernhard schweigen und 20) Hermes Phettberg murmeln gehört zu haben.
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