Arme Arme, Arm in Arm

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 45/2016 zum 9.11.2016.

Liebe Frau Andrea,
ein mir wichtiger Satz heißt: “Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.” Hat das geschichtliche Gründe, dass “Arm” und “arm” gleich lauten?
Karin Enzenberger, Neubau, per Email

Liebe Karin,

Ihr Zitat stammt aus einem der meistbekannten deutschen Arbeiterkampflieder, dem Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Sein Text folgt einem, 1863 vom sozialistisch-revolutionären deutschen Dichter Georg Herwegh anlässlich der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins verfassten Gedicht. Aus dem Verein sollte später die SPD hervorgehen, aus dem Gedicht eine Hymne auf das revolutionäre Proletariat.

Der Arm, jener vielgelenkige Körperteil, der an unseren Schultern ansetzt, ist entwicklungsgeschichtlich ein Cousin unserer Beine und war zur Zeit unserer frühen Vorfahren, der Fische, noch eine schlichte Flosse. Das Bauprinzip dieser fächerförmigen Ruderwerkzeuge hat sich über all die Jahrmillionen erhalten: Ein einzelner Knorpel- oder Knochenstummel verzweigt sich an einer beweglichen Verdickung in einen Doppelarm, dieser, an der nächsten Verdickung in drei, die wiederum in vier, bis am Ende des Flossenfächers meist fünf Strahlen, unsere heutigen Finger sitzen. Aus den Verdickungen an den Verzweigungen der Strahlen werden im Laufe der Evolution Gelenke werden. Das mechanische Prinzip der Überkreuzung von Elle und Speiche hat den frühen amphibischen Landbewohner eine Bewegung an Land ermöglicht. Kein Arm, kein Landgang, kein Arm, keine Menschheit.

Das Wort für die Gliedmaße, die unsere Hände hervorbringt, kommt von einer indoeuropäischen Verbalwurzel “are”, soviel wie “fügen” und bedeutet Gelenk oder Körperteil mit Gelenk. Der Arm (lat. humerus) hat aber auch martialische Bedeutung. Aus der gleichen Wurzel wie Arm kommt das lateinische arma, die Waffe und schließlich die Armee.

Arm, das Gegenteil von reich, kommt aus jener indogermanischen Wurzel *orb(h)o (zurückgelassen, verwaist, elend – griechisch: orphanós, verwaist), aus der auch die Worte “Erbe” und “Arbeit” kommen. Arm zu sein war im Verständnis unserer Vorfahren mit dem Zwang zur Arbeit verbunden. Wenn das der Quastenflosser geahnt hätte!
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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