Wien und die große Kraft

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 36/2016 zum 7.9.2016.

Liebe Frau Andrea,
jemand (vergessen wer) hat mir erzählt, Wien sei mal in einer ganz bestimmten Sportart (vergessen welche) Weltspitze gewesen. Das war aber nicht Fußball, oder? Und nicht Wien.
Bodo Schultknecht, per Email

Lieber Bodo,

der Wiener Fußball hat mehr Gewicht, als Uneingeweihte vermuten. Schon ab 1897 fanden Matches statt, 1924 wurde in Wien die erste Profiliga außerhalb der britischen Inseln gegründet. Das Wunderteam spielte in der Weltspitze, die Wiener Vereine gehörten zu den ständigen Favoriten im erste großen internationale Vereinswettbewerb der Welt, dem Mitropacup (dem Vorgänger von Europapokal und Champions League). Die Austria gewann ihn zweimal, Rapid und Vienna je einmal, 1931 standen gar zwei Wiener Mannschaften (Wiener AC und Vienna) im Finale.

Ich vermute aber, Ihre Frage kann mit Hinweisen auf eine andere Sportart beantwortet werden, war Wien doch seit den 1880ern und fast bis in die 1930jahre die Welthauptstadt des Gewichthebens. Ein Amalgam aus Kirtags-Goliaths, Stammtisch-Atlanten und aufgeklärten Aristo-Athleten hatten sich in Vereinen und Clubs organisiert. Ihre Helden waren in der Regel Fleischhauergesellen, stammten aus dem Wiener Gastgewerbe oder führten selbst Wirtshäuser, Männer wie der Inzersdorfer Wirtensohn und zweifache Weltmeister Karl Swoboda, der mehrfache Weltmeister und Gastwirt Josef Grafl und der Erdberger Wirt und 35fache Weltrekordhalter Josef Steinbach. Die Vereine waren in den Hinterzimmern von Wirtshäusern zuhause. Die profitierten von den öffentlichen Trainings und den samstäglichen Wettkämpfen vor vollem Haus. In familiärer Atmosphäre wurde gewettet, meist auf das “Auffehaun”, das “Hochbringen” eines bestimmten Gewichtes.

Nachhaltigen Anteil an der Wiener Titanenkunst hatte der k.u.k. Reserveoffizier Alfred Markgraf von Pallavicini. Der vielfache Erstbesteiger brachte als erster Mensch 100 kg zur Hochstrecke. Zu seinem Training gehörte es, vor dem Hotel Sacher einen Fiaker mit möglichst vielen Fahrgästen zu besetzen und diesen dann an der hinteren Achse anzuheben. Er soll imstande gewesen sein, auf diese Weise bis zu 900 kg zu heben. Die Technik für seine Kraftakte hatte sich der Marchese in den Wiener Schweratlethenklubs beibringen lassen. Bei den Proletariern. Freundschaft!
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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