Durchblick

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 2.7.2016.

Wer den Durchblick hat, so glauben wir zu verstehen, genießt freie Sicht auf die Dinge, versteht dieselben und ihre Beziehung zueinander. Die Metapher spielt in unseren Breiten mit dem Bild einer verschmutzten Fensterscheibe und der damit getrübten Möglichkeiten von Durch- und Fernsicht. Offen bleibt, ob der Durchblicker oder die Durchblicker die metaphorische Scheibe geputzt hat (oder sie sich putzen ließ), oder ob der Durchblickenden Sehkraft (und damit gemeint das Erkenntnistalent) auch die Sicht durch getrübtes Glas erlaubt. Ebenfalls ungelöst: Wieso wurde das trübe Fenster nicht geöffnet? Inkludiert der Blick durchs Fenster auch jenen durch die Gardinen? Sind Jalousien auch erlaubt?Fragen die uns beschäftigen sollten.

Falls der Durchblick durch Brillengläser geschieht, bleibt die Beantwortung der Frage, warum das überhaupt erwähnt werden muss. Sitzen die falschen Dioptrien auf der Nase? Wurden zwar die Fenster, nicht aber die Schärfeprothesen geputzt?

Steigen wir weiter durch die Metaphernsprossen optischer Gerätschaften. Wer den Durchblick hat, etwa durch ein Fernrohr, sieht Dinge, die dem Normauge verborgen bleiben. Den anrückenden Bösewicht etwa, den Zwölfender am Waldesrand, die Jupitermmonde. Der Durchkblick durch Linsen aus Spezialglas kann aber auch ins Nahe, Winzige zielen, Fliegenbeine erfassen, Gehirnzellen und die Wanderbewegungen des Pantoffeltiers. Gesehenes kann verstanden werden, Verstandenes geteilt. Die Aufklärung (englisch “enlightment“, französisch “les lumières“, italienisch “illuminismo“ spanisch “ilustración“) hat ihre Sprachbilder nicht nur in der Enttrübung des Blicks, sondern auch in der Beleuchtung des Betrachteten gefunden. Durchblick ist eben auch eine Frage der Helligkeit.

Wir erinnern uns dabei an die Erkenntnis des Philosophen Peter Ferber, leitenden Direktors der manuellen Getränke-, Kaffee- und Lebensmittelspedition auf mikroregionaler Ebene im legendären Wiener Café Salzgries: “Bei Dunkelheit sicht man ned so weit, wie bei Tageslicht, wo man weiter sicht.”

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