Sie hassen mich jetzt in Unterberglberg

Darf ich mich von Bücher trennen?

Andrea Maria Dusl. Für ‘DER STANDARD Album‘ vom 19.3.2016

Am Anfang war das Wort. Und das Wort stand im Buch. Bücher sind der Schatz der Welt, lernen wir, das Wissen, die Erkenntnis, der Geist. Büchern bauen wir Tempel und Tresore, Bücher lenken das Glück unserer Welt, leuchten in unser Dasein und in das Unbekannte dahinter. Bücher sind alles. Sie sind überall. Auch bei mir daheim. Nicht eines, nicht zwei. Viele. Als westlicher Buchmensch habe ich den Kahn der Erkenntnisgier ungekentert durch den Silbersee gesteuert, las mehr als Buch und Zweitbuch, besitze eine, ja das Wort ist Krawall, Bibliothek. Sie wollte den Rand des Nachtkästchens niemals verlassen, aber sie tat es, ergoss sich in Regale, füllte Räume. Das Dilemma hieß mich willkommen.

Darf man Bücher wieder loswerden? Es besteht weitgehend Einigkeit über die barbarischen Aspekte von Bücherverbrennungen. Aber dürfen wir Bücher, egal, wie sie zu uns gekommen sind, sei es durch Kauf, Tausch, Diebstahl oder Schenkung, wieder loswerden? Dürfen wir Unlesbares verstoßen, Lähmendes weggeben, Schlechtes weg …? Dürfen wir es überhaupt aussprechen? Dürfen wir Bücher wegschmeißen? Faulstellenlose? Kurz angelesene? Frisch hereingetrudelte?

Nein, sagt die bibliothekarische Krämerseele in mir. Nicht ohne Schande und Scham, nicht ohne schlechtes Gewissen, nicht ohne dessen verhängnisvollen Biss. Bücher haben gehortet zu werden, sagt der gutenberggalaktische Weltgeist in mir. So weit die Moral. Bin ich allein?

Ich bin nicht allein. Flohmärkte und Leihbibliotheken, Book-Crossing-Projekte und Romanauswilderungen sind die schmutzigen Ufer der Bücherflut. Denn selbstverständlich werden Bücher orphaniert. Neuen Besitzern aufgedrängt. Mitgebringselte wie selbsterstandene. Um die Bücherzirkulation muss sich die westliche Welt keine Sorgen machen.

Erst stellte ich sie in die zweite Reihe. Hinter die guten Bücher. Hinter das Herzeigbare, das Griffbereite, das Gerngelesene, das Wiedergelesene. Bei jedem Umzug fielen sie mir entgegen. Die schlechten Schinken, die Räuberromane, die Fadgasführer, die Beratungsbelletristik. Manche waren unter der Staubschicht noch in Plastik verschweißt. Ich schichtete sie in separate Umzugskisten. Schrieb „Vorsicht, schlecht!“ darauf, oder „Unwichtiges“, hoffte, sie würden vom Zufall geholt werden, vom Laster fallen, von Dummköpfen gestohlen werden. Vergebens. Die bösen Bücher blieben. Ich brachte sie kistenweise in unterentwickelte Gegenden. In die Oststeiermark. In der Gemeindebibliothek von Unterberglberg rümpfte man die Nase. Coffeetableklassiker seien das, wertvoll, lehrreich, wertvoll, log ich. Das Buch über die Aale des Amazonas. Das Kümmel-Kochbuch, der Wanderführer der Westwalachei. Die Romane Frischverblühter, die Gedichte Unentdeckter, leidbringende Lebensberater. Die Werke von Freunden. Kiloweise. Ich tauschte mein Glück gegen den Unmut und die staubigen Finger der Gemeindesekretärin. Sie hassen mich jetzt in Unterberglberg. Ich finde, zu Recht.

http://derstandard.at/2000033197203/Buecher-ausmisten-Gutenberggalaktische-Geister

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