Abortschmus und Häuslschmäh

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 25/2015

Liebe Frau Andrea,
letztens wurde mir ein recht seichter Witz erzählt, welcher generell als „Häuslschmäh“ zu titulieren wäre. Wäre besagter Witz komischer gewesen, wenn er mir am Abort dargebracht worden wäre?
Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Poglitsch, Wien, per Email

Lieber Johannes,

sehen wir uns den Begriff an, bevor wir ihn zerlegen. Mit “Häuslschmäh” bezeichnet das Wienerische, wie von Ihnen beobachtet und bedauert, eine niedrige, billige, ja gewissermassen hilflos stolpernde, am Ungenügenden scheuernde Variante des “Schmähs”, jener hohen Kunst Wienerischer Dialektik. Der Häuslschmäh ist ein Schmäh, der metaphorisch (wenn auch nicht zwingend topographisch) in der Toilettenanlage, am “Häusl” dargebracht wird. Am Männerklo, wie die Genderwissenschaft anmerken würde – vornehmlich in der irritierenden Halböffentlichkeit eines Pissoirs. Zum Pissoir kann mithin jede Situation semi-intimen Beisammenseins werden.

Der Schmäh ist nur scheinbar verwandt mit der hochdeutschen Schmähung. Stadt-Novizen und mentalitätsgeschichtlich Aussenstehende halten den Schmäh für einen abgeschlossenen Witz oder eine Pointe. Tatsächlich ist er eine pointierte und hochkomplexe Art des Sprechens und Denkens. An seinen Rändern apert der Schmäh in Gerede, Gefasel und Geschwätz, nicht selten in Täuschung und List aus. Schmäh wird “geführt”, den Schmäh lässt man “rennen”, am Schmäh “hält” man Unbedarfte und Unterlegene. Wir kennen den “Schmähfiahra”, den “Schmähbruada”, den “Schmähtandla” und den Zustand ernsten Verstummtseins, das “schmähstad” sein. Sprachlich kommt der Schmäh über das Rotwelsche “Schmee” vom jiddischen “Schmue”, “Schmuo”, ja dem, was auch im Berlinerischen als “Schmus” bekannt ist. Im Rotwelschen und sehr tiefen Wienerisch hat sich noch das Zeitwort “schmeulern” für das Schmähführen erhalten. Schmäh und Schmus kommen beide (über das Jiddische) vom Hebräischen “Schemuá”, dem Gehörten, dem Gerücht, der Neuigkeit. Auch eine nonverbale Form des Schmähführens dürfen wir zu unserer Wortgruppe zählen: Das Schmusen, jiddisch “schmuéßn”, das sich Unterhalten. Zuletzt die Antwort auf ihre Frage: Ein Häuslschmäh wird auch am Häusl nicht besser.

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