Lager und Mauer, Mütze und Trauer

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 07/2015.

Liebe Frau Andrea,
im letzten Falter sind unter „JENSEITS“ die Skimützen (oder „Schimützen“?) von Bundespräsident und Bundeskanzler beim Gedenken der vor 70 Jahren erfolgten Befreiung von Auschwitz als die Würde störend empfunden worden. Mich würde interessieren, wie man am besten „mit Würde“ gedenkt – ist dies eine Frage der inneren Einstellung oder der äußeren Erscheinung?
Mit besten Grüßen,
Peter Belada, Ottakring, per Email

Lieber Peter,

zur Etymologie der inkriminierten Kopfbedeckungen darf ich Wortkundliches von den Brettern berichten, die in Österreich die Welt bedeuten. Das Wort Schi wurde im 19. Jahrhundert dem norwegischen Ski entlehnt, das vom altnordischen skíð abstammt und mit den deutschen Wörtern Scheit und Schindel urverwandt ist. Die skandinavische Aussprache des Wortes Ski erzeugt eine Silbe, die ähnlich, wenn auch nicht gleich wie das deutsche “Schi” klingt. Schwieriger erachten wir die Klärung der Frage nach der Würde einer Schimütze. Die Kollegen haben in Falter 6/15, pag. 21 insoferne kein klares Urteil gefällt, als sie den Befund der mützentragenden österreichischen Staatsrepräsentanten als “jenseits” taxierten. Die Sache ist tatsächlich komplex, verweist doch die Garderobe von BP Fischer und BK Faymann auf ein Dilemma. Die Schwarze Wand (oder Todeswand), ein Nachbau jenes Kugelfangs aus schwarzen Isolierplatten, der sich an der Steinmauer im Hof zwischen Block 10 und 11 des Stammlagers des KZ Auschwitz befand, ist ein historischer Ort und eine Weihestätte. Das Bedecken des Hauptes dort darf als Geste des Respekts vor Opfern und Angehörigen verstanden werden. Das Tragen beitkrempiger Herrenhüte mochten sich Fischer und Fayman wegen der Assoziation zu den Hüten jüdischer Orthodoxer verbeten haben. Griffen sie deshalb zur Mütze? Mit der Trauerfarbe Schwarz wollte man immerhin sichergehen, jeden Gedanken an Sporthauben ausschliessen zu können. Ein Irrtum. In moralischer Hinsicht dürfen beiden Protagonisten dennoch ehrenvolle Absichten und redliche Haltung attestiert werden. Papst Benedikt Benedikt XVI. trug bei seinem Besuch der Schwarzen Wand im Mai 2006 die blütenweisse Papstsoutane. Dazu rostrote Slippers aus dem Hause Gammarelli. Die Aufregung der Würdewächter hielt sich in Grenzen.

Ein Gedanke zu „Lager und Mauer, Mütze und Trauer“

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