Betteln 2.0

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Für meine illustrierte Kolumne in den alzburger Nachrichten vom 10. Mai 2014.
Wer brav ist und fleissig, gut in Deutsch und Rechnen, wer tapfer mitsingt und regelmässig beichtet, der darf ins Gymnasium. Das war seit dem Biedermeier die Losung in der Volksschule. Auch im Gymnasium hing der Himmel voller Perspektiven. Wer vier Jahre durchhielt, wer nicht scheiterte, sprich: eine Lehre beginnen musste, dem stand die Oberstufe gymnasialer Bildungsreife offen. Die Drohung einer Paradiesfahrt, die mahnende Ermunterung, sich in den Texten der Antike zu verlieren, Kegel zu schneiden und Kurven zu diskutieren, zu differenzieren und zu integrieren, Hegel zu lesen und Spinoza, Shakespearesonette und Wittgensteintraktate. Das Ziel aller Ziele war die Matura. Die Eintrittskarte zur Alma Mater. Wo man Lehrer wurde und im Kreislauf blieb. Oder, familiäre Disposition vorausgesetzt, ein Studium aus der Trias der akademischen Bürgerlichkeit wählte: Jus, Medizin, Pharmazie. Das waren die Weichen. Die Bastler gingen auf die Technik. Neurotikern stand die Pflege eines Orchideenstudiums offen. Germanistik, Theaterwissenschaft, und, psst: Architektur. Im wesentlichen wurden Ärztekinder Ärzte, Kinder von Juristen Doktoren der Rechte und Apothekerkinder Pharmazeuten. Die Kinder von Diplomaten wurden Diplomaten, die der Theologen Bürgermeister. Generationen hindurch galt dieser bürgerliche Masterplan. Hin und wieder musste es der Papa richten. Bildungsideal und Karriere-Versprechen sind noch heute mariatheresianischen Charakters. Eingelöst werden sie indes kaum noch. Ein Studium, ob abgebrochen oder absolviert führt immer öfter ins Prekariat, in die SVA-Falle und ins Schuldenrad. Wer nicht Coach wird oder Lebensberater, fährt Taxi. Die Akademikerrate unter Sandlern steigt. Griechenland ist keine Option mehr für Aussteiger. In der Gesellschaft lagert sich ein Sediment akademischen Scheiterns ab. Sind wir am Ende? Nein. Rettung naht von unerwarteter Seite. Wirtschaftsstudenten weltweit, konfrontiert mit den krisenhaften Ergebnissen falscher ökonomischer Theorien fordern eine Änderung von Lehre und Forschung. Das riecht nach Revolution.

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