Loritot

Der geniale Portraitist der deutschen Seele, der Satiriker, Zeichner, Filmemacher und Autor Vicco von Bülow starb am 22. August 2011 in Ammerland am Starnberger See. Langzeitverehrerin Andrea Maria Dusl hält ihn für einen der Grössten.

Für Falter 35/2011.

Nicht jedes Land hat einen von der Grösse Loriots, Frankreich hatte Tati, Italien Fellini, Amerika hatte, bis sie ihm die Filme nicht mehr finanzierten, Woody Allen. Und wenn man ihn liess, hatte Österreich Qualtinger. Einen Satiriker von Weltformat. Einen minutiösen Portraitisten des Alltäglichen. Einen akribischen Archivar des Durchschnitts. Einen Chronisten der Wirklichkeit.

Als ich ein Kind war, gab es Spassmacher und es gab Loriot. Die Spassmacher und Showkasper waren brave Fernsehzirkus-Pferde, die wussten, wie man Sketches baut, Pointen setzt und Lacher holt, sie hatten satirisches Talent, sie waren fleissig und sie waren erfolgreich, aber sie waren nicht lustig. Kinder sind unbestechlich und noch unbestechlicher war ich. Die Spassmacher und Showkasper, ihre Namen sind Legion, fand ich zum Abwinken fad, sie langten nicht nach meinem Herz, sie langten nach meinem Lacher. Und den gab ich ihnen nicht. Ich fand ihn nicht in mir. Er war nicht da. Ich hatte Mitleid mit den kuriosen Gestalten, die zu Klimpermusik und Lachbändern, mit verdrehten Augen und Clowngefaxe durchsichtige Kalauer auf die Rampe legten. Ich hatte kein Wording für die Auslöser meiner Tristesse, nein doch, ich erinnere mich an das Wort: Umschalten. Umschalten war das Aus für den Komiker im Kasten. Bei mir hatten sie keine Chance. Also: Es gab die Spassmacher, sie waren nicht lustig und es gab Loriot.

Loriot war nicht lustig, denn er war loriot. Loriot war eine eigene Kategorie. Loriot war die Heilung und der Segen, seine satirische Präzision kam aus einem anderen Universum. Loriot hat meine Komikasthenie nicht kuriert, er hat sie durch eine wesentlich bessere Krankheit ausgelöscht, den Loriotismus. In loriotistischen Attacken, ausgelöst durch Bilderwitze, Kurztrickfilme, Fernsehsketches und die späten Filme eruptierte das Lachen aus mir, wie aus dem plinischen Vesuv. Rann als Tränenniagara aus meinen Augen und füllte mich mit Meeren von Glück.

Gewiss war auch Loriot vom Loriotismus befallen, denn um Sketches und Geschichten der von ihm befahrenen Tiefe zu schreiben, zu spielen und zu inszenieren musste er einen, durch Loriotismus geschärften Wahrnehmungsapparat pflegen. Loriot sah den Menschen in die Seele, fand darin das Ungehörtsein und stellte es dar. Mit atemberaubender Genauigkeit. Mit einer Menschenliebe, die sich nur die ganz Grossen erlauben. Mit einer, die Wahrheit übertreffenen Wahrhaftigkeit.

Diese Zeilen kommen ganz ohne Exempel der Loriotschen Kunst aus, denn die Loriotsche Kunst ist allgemein bekannt. Sie ist Allgemeingut. Selbst in Schnitzelland und bei Tells Erben. Wie die Grimmsche Märchenkunst, wie das Alphabet. Verschwände Nachkriegs-Deutschland aus sämtlicher Erinnerung, es liesse sich rekonstruieren, allein aus dem Loriotschen Material. In jeder nur denkbaren Nuance, in jeder Textur, ja in jeder möglichen Denkbarkeit.

Loriots Ruhm war auch unter Kollegen unerreicht. Tauchte der elegante Aristokrat mit dem bürgerlichen Habitus, selten aber doch, bei Hochämtern seiner Zunft auf, meistens als Geehrter, gab es Standing Ovations, Tränen, Frühgeburten, Herzstillstände. Nicht unter normalem Publikum. Unter Comedians und Kabarettisten. Loriot, das muss ihm einer nachmachen, hatte keine Neider. Loriot hatte ausschliesslich Bewunderer. Denn Loriot war unerreicht. Neue Folgen seiner Kunst wird er nun an paradiesischen Orten zur Ausstrahlung bringen.

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