Die Künstler

Egon-Schiele.jpgFür meine Gastkolumne in den Salzburger Nachrichten vom 31.01.2009

Jeder von uns besitzt eine, sie ist so praktisch wie zuverlässlich, so simpel wie genial: die digitale Kamera. Erfunden hat das Ding ein Künstler. 1975 war das, da schraubte ein kauziger junger Mann in der Entwicklungsabteilung des Fotoriesen Eastman-Kodak die erste Digitalkamera der Welt zusammen. Aus elektronischen Teilen, die in seinem Labor herumlagen, aus Teilen anderer Geräte, aus Selbstgebasteltem und Zurechtgebogenem. Niemand hatte ihm einen Auftrag dazu gegeben, kein Gremium einen Beschluss gefasst, kein Firmenpräsident eine zündende Idee dazu gehabt.

Steven Sasson war dieser Künstler. Er hatte die Idee, und er hatte sie ganz allein. Sie kam zu ihm wie viele Ideen davor und wie viele danach. Er ließ sie einfach zu. Er hatte Zeit dazu und die richtige Umgebung. Das war das einzige Verdienst, das nicht sein eigenes war, denn Zeit und Raum zum Entwickeln unfassbarer Ideen hatten ihm andere gegeben. Seine Chefs, um es mal salopp zu sagen. Seine Chefs haben, wie andere kluge Chefs in anderen klugen Unternehmen auch, Umgebungen geschaffen. Labors, in denen kauzige Querdenker wie Steven Sasson Dinge erfinden, die es vorher nicht gab. Einfach so.

Künstler. Es gab sie in allen Epochen der Geschichte, in allen Kulturen, man nannte sie Zauberer, Magier und Sybillen, Philosophen, Artisane und Poeten, Maler, Hexen und Narren und noch tausendfach anders. Und so verschieden sie auch dachten, so individuell und unverwechselbar sie wahrgenommen wurden, völlig einerlei, ob sie handwerklich arbeiteten oder durch Gedankenwelten flogen, sie schufen Neues, schrieben Unbeschreibbares, malten Ungesehenes, sagten das Unaussprechliche. Künstler. Gesellschaften tun gut daran, sich ihrer Hervorbringungen zu bedienen. Ihnen Alchemistenküchen und Ateliers zu bauen und Tanzböden und Schreiberklausen, Labors und Institute. Kluge Gesellschaften, kluge Unternehmen, kluge Gemeinwesen. Künstler, auch daran wollen wir erinnern, sind keine besseren Menschen, keine Freaks, keine Helden oder Maschinen, sie sind Menschen, wie andere auch. Aber sie denken anders. Das muss man zulassen. Achten. Fördern. Pflegen. Dann, und nur dann, kommen homerische Odysseen aus den Werkstätten, michelangelische Pietas oder der aufpeitschende Tanz von Josephine Baker.

Österreich ist eine Kulturnation. Das kleine Land zwischen Bodensee und Langer Lacke, zwischen Böhmerwald und Karawanken hat eine Geschichte, in der Künstlerinnen und Künstler in einer Üppigkeit beschäftigt wurden, die atemberaubend ist.

Atemberaubend ist der Befund, den eine Studie zur heutigen sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich erhoben hat. Österreichs Künstler leben an der Armutsgrenze. Armes Österreich. Armes Österreich von heute. Unkluges Österreich von heute. Es täte gut daran, Labors einzurichten zur Entwicklung unfassbarer Ideen und Denkerklausen, Tanzböden und Filmateliers. So wie das Kodak gemacht hat. Die Herren dort schauen übrigens auch aufs Geld. Aber sie wissen, ohne Freiheit im Denken, ohne Labor gibt es keine Kunst. Und keine Digitalkamera.

Andrea Maria Dusl ist Filmregisseurin und Autorin.

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