Boboville ::: Vorabdruck im „Falter“

Boboville-25-Tage-500.jpgIn 25 Tagen ist es soweit. In 25 Tagen erscheint mein Roman Boboville. Bei Residenz. Das sagt man so. Erscheint bei Residenz. Die Präsentation wird im Schikanederkino stattfinden, am 24ten September, um 19 Uhr. Es wird leiwand werden in dem kleinen Kino. Aber ich lese noch wo anders. Ich werde viel lesen aus Boboville. —> Hier geht’s zu den Terminen.
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Mein Lesefreund Klaus Nüchtern, der Mann mit dem ich nach Poughkeepise fahre, um zu lesen, wenn wir lesen, gemeinsam, Klaus Nüchtern hat eine Episode aus Boboville als Vorabdruck in Falter 35/2008 gehängt. Hier nun ein erster Blick auf die Geschichten in Boboville:


Swuh, Newauuah, Rahr

Warum es so ist, weiß ich nicht, aber als Kind, so viel ist sicher, hat man einen schlechten Musikgeschmack. Um genau zu sein, und ich spreche hier von mir, hatte ich überhaupt keinen Musikgeschmack. Die Reste von irgendwas, was mit Musik zu tun hatte, hatten mir die Nonnen abgewöhnt, die Leopoldsgassennonnen, wenn ich am Klavier klimperte bei ihnen, um das Etüdenheft abzuarbeiten, dann war das schon nicht so funky, schwarze Musik, das sollte ich später lustvoll lernen, hörte sich anders an. Die Nonnen jedenfalls groovten nicht, niemals taten sie das, indes sie wichsten mir mit dem Rohrstab auf die Finger, Bambus zu ihm zu sagen hatten die bösen Tanten nicht den Mut, Bambus hätte ja Schwanz heißen können oder Stängel oder Penis, oh Gott. Als ob Rohrstab nicht auch schon Penis hieße.
Musik tat mir weh, und der Nonnen Schläge hatten Klavier und Klang auf bestialische Weise mit dem Thema Schmerz verschweißt. Es sollte viele Jahre dauern, bis das jemand wieder lösen konnte. Freddie Mercury hieß das Wesen, es war das Gegenteil jeder Nonne, gewiss war er das und darum liebte ich ihn vom ersten Augenblick an. Er trat in mein Leben zur Skikurszeit im Bergesland, wie war das, den Tag hindurch ödes Laufen am Hang, Rutschen in weißen Wiesen, kalte Finger und Schmerzen im Schuh. Aber am Abend, da war Party. Zwölf waren wir und wir knospten und wir konnten schon küssen, wenngleich es verboten war. Wer küsste, fuhr heim, sagten sie, die Sportlehrer, wo sie es doch selber miteinander trieben, wir hatten ihn gesehen, den Drohbard, die Zunge klebte ihm am Gaumen, seine Hose warf sich nach vorn, hatten gesehen, wie der Lehrer ins Zimmer seiner Kollegin gehuscht war. Hatten gelauscht, hatten das Stöhnen der Turnlehrerin vernommen und sein tierisches Juchzen und das metallische Quietschen der Betteinsätze.
Küssen war nicht und sonst auch nichts, bei uns jedenfalls nicht, aber Hopsen war und Party, mit Apfelsaft im Glas und Strähnen in den Pupillen. Und dann kam es in mich, das Lied, das den Schmerz radierte, ein hagerer Beau klimperte es, auf einem Bechstein. Noten wie aus dem Etüdenheft, nur schöner, viel schöner, jenseitig schön und ohne Rohrstäbe war es und ohne Nonnengift. So geschah es, dass ich die Musik wieder in mein Herz ließ. „Killer Queen“ hieß das Lied, und um es zu verstehen, habe ich mir nach dem Skikurs ein Wörterbuch gekauft. Moët kam vor, was war das bloß, und Marie Antoinette, Gunnenpuder und Gelatine, Chruschtschow und Kennedy, Kaviar und Zigaretten, Dynamit und ein Laserstrahl, und nie, sang Freddie mit der Stimme im Falsett, behielt sie dieselbe Adresse, sang er von Greta? Parfum aus Paris, ja so war sie, verspielt wie eine Pussikatze. She’s all out to get you, wanna try? Nein, wollte ich nicht, ganz sicher nicht, probieren wollte ich das nicht, ich wollte es sein, sofort und für immer, Komplikationen inbegriffen.
Aber da war ja noch was, noch was hinter dem Freddiegeklimper, ein singender Ton. Es klang wie eine Geige, aber es war keine, dann klang es wie ein Saxofon, aber das war es auch nicht, und ein Sündeseiser, so sagten sie, war es auch nicht, denn das stand auf der Queenplatte, ich hatte mittlerweile eine, keine Synthesizer stand da, no synthesizers, und das musste doch stimmen. Was war das, hinter den Freddietastenklängen, hinter dem lieblich perlenden Bechstein, war das eine Gitarre, die der hagere Lockenkopf da auf den Saiten kitzelte?
Ich fragte Harry Hassler, einen Mitschüler aus der Parallelklasse, der einzige, der lange Haare trug wie die Wesen von Queen, der konnte so etwas wissen, der musste es wissen, der hatte seine Gefahrhaare nicht ohne Grund. Aber sicher, wieherte Hassler, das ist der Breihenmeh, er hat eine elektrische Gitarre, kleines Mädchen. Elektrische Gitarre, was ist das? Gibt es nicht bei uns, gibt es in Carnaby. Eine Gitarre, die man an den Strom steckt, mit einem Kabel, dummes Kind, und die macht dann diese Töne. Wie geht das, wo steht das? Steht in Bravo, wieherte Hassler und wedelte mit seinen honigfarbenen Locken, die Saiten werden elektrisch und man muss sie nicht zupfen, man legt den Finger auf die Saite und es macht Swuh. Wo bekomme ich so eine Gitarre?, fragte ich Hassler. In Carnaby, sag ich doch, hab ich gelesen, sagte Hassler gelangweilt, gibt es ein Geschäft.
Es war um mich geschehen. Carnaby wurde meine Sehnsucht. Die Stadt mit Breihenmehs Gitarre. Hinter dem Wasser, gut, dass wir Englisch lernten, man würde mich verstehen, eines Tages im Elektrogitarrengeschäft. Das war nun mein Plan, einmal ins Elektrogitarrengeschäft zu kommen, in Carnaby, hinter dem Wasser und die Breihenmehgitarre zu kaufen, zu kaufen, zu haben, und aus ihr die Swuhs und Uahs und Newauuahs zu locken, die so süß und schön klangen, so hurtig und bizarr, so außerirdisch und fern. Swuh, Newauuah, Rahr.
Harry Hassler, er wieherte, wenn er lachte, wurde mein Freund, mein Berater, mein Intimus, mein Kamerad. Er durfte mich anstrahlen und wiehern, wann er wollte, seine fiebrigen Witzchen erzählen und mich auf den Mund küssen und meine Hand halten und rot werden, aber er musste mir alles erzählen, alles, was er wusste, erzählen, sobald er es erfuhr, alles über die elektrische Gitarre. Das war zu einer Zeit, als die Bobos noch in der Erde staken wie Spargelspitzen im Furchendamm. Es gab keine Handys, es gab kein Internet, die Computer waren so groß wie Bungalows und Taschen waren aus Leder gemacht und nicht aus Lastwagenplanen. Musik wurde in Carnaby gemacht, von Leuten mit Frisuren so groß wie Kleinplaneten und Sohlen von der Höhe einer Hochzeitstorte. Es war eine coole Zeit.
Und sie dauerte ewig. Denn es war eine langsame Zeit. Das Schnellste, was es zu dieser Zeit gab, war die Saturn V. Die Rakete, mit der man Menschen zum Mond brachte. Minuten dauerte es, bis sich der Riesenspargel gegen die Schwerkraft gestemmt und ein paar Etagen an Höhe gewonnen hatte. Eine coole Zeit. Ich mochte sie. Die Zeit vor den Schulterpolstern, die Zeit vor den Sicherheitsnadeln, die Zeit vor dem Boboismus. Eine Zeit der unzelebrierten Langsamkeit. Am Gymnasium, wo Harry Hassler um mich herumtanzte und wieherte, gegenüber vom Chemischen Institut, in der Gasse, die nach einem gesunkenen Schiff benannt war, da lehrten sie Sanskrit. Latein, Griechisch, Sanskrit, das war schon cool. Und langsam. Daran konnte man sich anhalten, am Rausch der Langsamkeit. Nur eines fehlte mir zum Glück. Die schönen Töne aus der Breihenmehgitarre. Die Stromgeige aus Carnaby musste her, Harry Hassler war gefordert.
Und dann, eines Tages, wieherte es und Harry Hassler sagte, die Messe, die Messe käme in die Stadt, hinten am Fluss, wo die Hallen sind, die große internationale Messe, sie käme. Was kommt sie, wie kommt sie?, fragte ich Hassler, sein Haarstroh wogte vor Freude. Die Messe, dort, wo es alles gab, das Neueste, Traktoren und Tonbandmaschinen, einfach alles, Transistorradios und Tastentelefone, Torsionsstäbe und Tischventilatoren. Und haben sie die Breihenmehgitarre? Vielleicht, sagte Hassler, schon möglich, man wird sehen. Und gehen wir hin, fändest du den Stand? Aber sicher, sagte Hassler, kein Problem, ich finde den Stand, aber nur, wenn du mit mir schwimmen gehst. Mit dir schwimmen, warum? Um zu üben. Was musst du üben?, sagte ich. Üben den Kopfsprung, sagte Hassler, im Schwimmbad, du musst. Du musst mir zusehen, ob mir der Kopfsprung gelingt, ob er gut aussieht. Und dafür werde ich auf die Messe gehen mit dir.
Können wir nicht auf die Messe gehen so? Ohne Bad, ohne springen? Neinneinneinnein, sagte Hassler, der Kopfsprung, ich brauche dich. Du musst ihn betrachten und mich lehren, wenn ich ihn falsch mache oder hässlich, dann musst du mir sagen, was falsch war und warum, und wenn er gelang, der Sprung, musst du klatschen und jubeln, ich brauche dich, ja?
Und dann eines Tages, bald war es so weit, trafen wir uns, vor dem Bad, das Hallenbad, unten am Fluss, auf der Bobovilleinsel, es war groß und neu und warm und es brannte in der Nase. Darum mochte ich es nicht, es machte die Haare nass und es brannte in der Nase, hätte ich es gewusst, ich hätte gesagt, es sei das Chlor, aber ich dachte, es läge an meiner Nase. Ich mochte das Bad nicht, man konnte mich sehen, wie nackt ich war, das war’s, was der Hassler ja wollte, das war sein Preis, dafür, dass er mit mir zur Messe gehen würde, die Breihenmehgitarre suchen, meinen Traum. Hassler wieherte mehr als sonst, als wir uns trafen hinter den Duschen, sein Haar hatte er unter einer Haube verborgen, schwarz war sie, durch die Mitte zog ein weißer Streifen.
Hassler sah aus wie ein Geier mit ihr. Sein Höschen war eng und geblümt, nie werde ich den Anblick vergessen. Ich schlüpfte ins Wasser und lobte den dünnen Kerl, wenn er, verboten war es, vom Beckenrand ins Wasser sprang wie ein taumelnder Frosch. Kopfüber, mit dem weißen Scheitel voran. Schneller, trieb ich ihn an, du musst dich mehr biegen, und schöner musst du sein, die Hände gespitzt, die Arme gestreckt. Hassler hatte rote Augen vor Glück, hätte ich es gewusst, hätte ich gesagt, sie waren rot vom Chlor, aber er lachte, und es musste Glück sein, was aus seinen großen Vogelaugen troff.
Und dann saßen wir auf der Bank neben dem Becken, und Hassler griff in den Beutel, er machte es spannend, ich habe gewichst, sagte er, es ist so weit, ich habe es mit. Gleich werde ich’s zeigen. Wie sieht es aus?, fragte ich. Gleich, sagte der Vogel, ich zeig’s nur dir, es ist ein Geschenk, ich dachte an dich, als ich rubbelte und rieb. Wie sieht es aus, ist es klebrig? Oh nein, sagte der Vogel. Er zog einen langen durchsichtigen Schlauch aus seinem Sack. Samen, sagte Hassler, echter Samen, von mir. Es war ein langes ausgerolltes Präservativ, das er da hielt, es baumelte zwischen uns, Hassler wieherte still, echter Samen, echter Samen von mir, sagte Hassler. Wo, fragte ich dann. Na unten, im Reservoir, hier schau’s dir an.
Der Gummi roch nach Fahrradschlauch, ich kannte den Geruch gut, er war stechend und fremd, er schnitt durch den Schwimmbadodor wie eine heiße Klinge durch kalte Butter. Mein Samen, frisch gewichst, heute morgen. Das da unten? Ja genau, sagte Hassler. Es waren schwarze Körnchen, sah aus wie Mohn. Das ist der Samen? Genau. Das ist der Samen. Ich dachte an dich, meine Freundin, als ich rubbelte und rieb. Hassler rollte den Gummisocken zusammen und steckte ihn in meine Bademanteltasche. Für dich. Weil du mir beim Kopfspringen zugesehen hast. Das war mein erster Sex. Ein kleiner Handel.
Vorabdruck in Falter 35/2008 vom 27.8.2008 (Seite 52)

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