St. Ferragosto

Liebe Frau Andrea,
vor zwei Wochen war ich in Drosendorf eingeladen, zu einer Veranstaltung von Jan Tabors Symposionistischer Internationaler. Bei meinem Rundruf durch alle Pensionen und Hotels der Stadt bekam ich immer wieder die selbe Antwort: kein Zimmer frei, Ferragosto. Was ist denn da los im stillen Waldviertel?
Fragt Sissi Cahon, Leopoldstadt
Liebe Sissi,
Ihr Drosendorfer Nächtigungswunsch kollidierte mit einer kalendarischen Besonderheit. Heuer fiel der 15. August, Mariä Himmelfahrt auf einen Freitag, was automatisch zu einem superlangen Wochenende führte. Mit dem italienischen Ferragosto hat dieser Effekt nur die Augustmitte gemein. Das Fest der Feste, die Woche, in der sich ganz Italien auf die faule Haut legt, mit Kind und Kegel ins kühle Gebirge oder ans Meer fährt, wird zwar auch von der Assumption Mariens ausgelöst, hat aber alte und unchristliche Wurzeln. Nachdem Kaiser Augustus dem sechsten Monat des römischen Jahres seinen Namen gegeben hatte, liess er die Feste anlässlich des landwirtschftlichen Sommerendes, traditionell im September gefeiert, in die Mitte des August, an den heissesten Tag des Jahres legen. So kam der Höhepunkt des Sommers zu seinem Namen: Feriae Augusti, die Feste des Augustus, italianisiert Ferragosto. Essen, Trinken, sexuelle Exzesse, das Fest hatte es in sich. Das ganze Reich hatte frei. Vom dicken Senator bis zum ausgemergelten Sklaven. Ferragosto war so tief verwurzelt im Appeninenvolk, dass die Kirche es eher vorzog, dem Fest einen neuen Drall zu geben, nämlich die Himmelfahrt der Gottesmutter, als es wegen heidnischer Exzessimmanenz abzuschaffen.
dusl@falter.at www.comandantina.com
Für meine Kolumne ‚Fragen Sie Frau Andrea‘ in Falter 36/2008

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