Tschuldigen

Wieso eigentlich entschuldigen wir uns dauern?

Andrea Maria Dusl für die Salzburger Nachrichten.

In Österreich ist es üblich, sich beim Eintritt in ein Geschäft, eine Gaststätte, ein Postamt zu entschuldigen. Wir kennen es alle, das flaue Gefühl, das diese Orte auslösen. Die sakrale Stille, mit der sie uns willkommen heissen. Aber heissen sie uns überhaupt willkommen? Amerikaurlauber und Nordeuropareisende berichten von seltsamen Sitten. Von lächelnden Verkäufern, die ihren Kunden einen guten Tag wünschen, die Befindlichkeit abfragen und generell daran interessiert zu sein scheinen, was man denn für Wünsche hätte. Gelernten Österreichern ist solches Verhalten fremd, es wird als aufdringlich empfunden, als aufgesetzt, als falsch. Es braucht ein paar Tage bis sich amerikaurlaubende, norderopareisende und sonst wie fern der Heimat einkaufende Österreicher an den seltsamen Usus gewöhnt haben. Ins Land der Berge und am Strome zurückgekommen fällt den Österreichheimkehrern das Einkaufen dann doppelt schwer.

Klingeling, dingdong, wir treten in ein österreichisches Geschäft. Die sakristeihafte Stille der Unnahbarkeit senkt sich auf uns. Das lähmende Gefühl des Störens. Und dann würgt die Stille, die Unnahbarkeit, die Störung an unserem österreichischen Hals und drückt das gepresste Wort hervor, das als einziges geeignet scheint, Kontakt herzustellen. “Entschuldigung” drückt es uns aus der Kehle. Mit leicht erhöhtem Ton, nicht zu laut und nicht zu forsch. “Entschuldigen.”

Wofür entschuldigen wir uns? Was ist das für eine seltsame Sitte? Wir entschuldigen uns für die Störung. Das gehört zum guten Ton. Bedeutet doch das Betreten eines Ladens eine Störung für den Kaufmann. Die seltsame Sitte stammt aus den Zeiten der Monarchie, wo einander in Geschäften weitgehend Dienende begegneten, Dienende verschiedenen Ranges. Bürgertum und Aristokratie gingen in vorrepublikanischen Zeiten nicht selbst einkaufen. Das ließen sie vom so genannten „Personal“ durchführen.

Und das Personal traf in einem Geschäft auf die standesmäßig höher stehenden Verkäufer. Oder gar den Geschäftsinhaber.

Anders hielten die Geschäfte den Umgang mit der „Kunde“, der bürgerlichen Bekanntschaft des Kaufmanns. Die Kunde begegnete ohne Entschuldigung. In einer mittelalterlichen, barocken, neoabsolutistischen Stadt konnte die Kunde nur ein anderer Bürger sein. Oder jemand aus seiner Familie. Aristokraten, Kirchenfürsten und Beamte gingen in den seltensten Fällen einkaufen. Wozu denn. Als Abenteuer war es zu ungefährlich, als Zerstreuung zu langweilig, als Tagesprogramm zu zeitaufwändig.

Auf Augenhöhe einzukaufen war Nichtbürgerlichen und Nichtaristokraten traditionell nur auf dem Markt möglich. Hier entschuldigte sich niemand für Störungen. Hier wird auch heute noch saftig mit einander geschrien. Hier wird weder gebeten noch gebuckelt. Hier ist die Verkaufswelt aufgeklärt und psychosozial entösterreicht. Normal halt.

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