Vom falschen Umgang der Österreicher mit Geschwindigkeit
Andrea Maria Dusl für die Salzburger Nachrichten.
Vor zwei Wochen hat ein Österreicher bei einem tragischen Arbeitsunfall im norwegischen Ausland sein Bein verloren. Zu Matthias Lanzingers Tätigkeiten gehörte es, mit High-Tech-Latten abgesperrte Hänge hinunterzurasen. Der junge Salzburger war Hochleistungs-Skifahrer und Verletzungen gehören zum Berufsrisiko. Im Dienst der Geschwindigkeit zählen durchgerissene Kreuzbänder, angebrochene Schlüsselbeine und zertrümmerte Handgelenke zum täglichen Business.
Die Wintersportindustrie lebt von der Brutalität der Geschwindigkeit. Hier paart sich die Lust am Schnellsein mit der Freude am Profit. Die Kristallkugeln und goldenen Gamsen, die Pokale und Olympiamedaillen für Hurtigsein werden nicht allein für die Vitrine errungen. Damit das Schifahren nicht zu einem Zeitlupenballett verkommt, braucht es Vorbilder, braucht es die jungen Wilden auf den Brettern die die Welt bedeuten. Denn je schneller brave Schilurlauber einen Hang hinunterglühen, desto schneller stehen sie wieder am Lift, desto mehr Penunze liegt am Abend in der Kasse.
Geschwindigkeit ist in Österreich eine Tugend. Schnellfahrer sind in Österreich Helden. Was mit Brettern auf den Hang beginnt, setzt sich im tiefergelegten Golf, im getuneten BMW und im elektronisch entriegelten Audi fort. Im Autobahnslalom macht den Österreichern so schnell keiner was vor. Nirgendwo wird näher aufgefahren, leidenschaftlicher gedrängelt als auf Österreichs Autobahnen. Ist das schnelle Sein ein maskulines Phänomen? Keineswegs. Die Hurtigkeit finden wir auch abseits der Männerpisten. Im Supermarkt. Dorthin verirren sich Männer nachgerade selten. Henry Fords Fliessband hat im Österreich der einkaufenden Frau zu ungeahnter Perfektion gefunden.
Nirgends auf dem Globus weiss man ein Kassenband schneller in Bewegung zu halten als in Schnitzelland. In aberwitzigem Furor wird der Einkauf aus dem Wagen gewuchtet, auf das Supermarktkassenband geworfen und das Näkubischi, das Nächste-Kunde-bitte-Schild aufgelegt. Während die Kundin vor uns zahlt und in selbstzerstörerischer Hast ihre Produktemelange einsackelt, schleudert eine vielarmig fuchtelnde Kassier-Furie unseren Einkauf über die verlurchte Laserleuchte. Gibt es einen geheimen Weltcup für Supermarktkassieren?
Österreich ist dem Rausch des Hudelns erlegen. Nicht alle wollen da mitmachen.
Letztens ist meiner Familie nach monatelangem, höchst unaufgeregtem Suchen ein britischer Wagen zugelaufen. Er ist groß wie ein Bootshaus, in seinem CD-Schacht läuft Steve Reich, das Fahrgefühl ähnelt dem Schweben auf Wolke Sieben, der Tacho imponiert mit der Zahl 260. Das gefällt mir, denn ich fahre auf der Landstrasse nie schneller als Hundert. Neulich hat uns eine oststeirische Polizeistreife auf einer schmalen und kurvigen Bundesstrasse abgemahnt. Mitten in den Kukuruzfeldern. Wegen Langsamfahrens. 65 wäre ich gefahren. Zu langsam sei das. Wenn wir die Landschaft betrachten wollten, mögen wir doch aussteigen. Aber gerne.