Serie gut, alles gut!

Für das Standard-Album vom 9.9.2006
Ich bin ein Fernsehkind. Es gibt keinen Augenblick meines Lebens, in dem nicht irgendwo ein Fernsehapparat vorkommt. Ein schweres Schicksal. Wenn meine Schulfreundinnen und Schulfreunde schlimm waren, wurde ihnen das Taschengeld gestrichen. Wenn ich etwas auf dem Kerbholz hatte, fasste ich Fernsehverbot aus. Weil man mit dem Verbot bekanntlicherweise den Reiz des Verbotenen erhöht, wurden aus meinen Schulfreundinnen und Schulfreunden Bankdirektorinnen, Investmentberater, Finanzdienstleister und Scheckbetrüger. Aus mir wurde eine Fernseherin. Das schwarze Kästchen ist mein Fenster in die Welt.
Meine frühesten ausserfamiliären Erlebnisse fanden stets an einem Mittwochnachmittag statt und handelten von einem gewissen “Kasperl”. Kasperl war mein Freund, er war naseweis wie ich, aber was ich nicht verstand, war, warum er sich mit der pelzigen Klette abgab. Petzi hiess der Kerl, er dichtete schlecht und war eine Rampensau. Für einen Lacher hätte er seine Grossmutter verkauft. Seinen Freund Kasperl sowieso. “Kasperl” hatte alle Ingredienzen einer guten Serie: Den wöchentlichen Termin, die schrullige Hauptperson in bedenklichen Familienverhältnissen, den billigen Plot und das kleinbürgerliche Millieu. Kasperl junkte mich an für diesen Serientypus. Aus Dornröschengeschichten in Schlössern, Vorstandsetagen und Millionärsvillen würde ich mir fürderhin nichts machen. Schlechte Karten für “Gute Zeiten, schlechte Zeiten”, “Reich und Schön”, “Dallas” und “Dynasty”.
Flipper.jpgDie kapute Prolo-Familie war mein Ding. Eine Serie war die meine, sobald es in ihr genetisch kriselte oder im Freundeskreis krachte. Flipper, der dauerglückliche Lagunenhund kam bei mir an, weil bei den Flipperischen zuhaus die Kacke am Dampfen war. Sandy und Bud, die beiden “Jungs” waren ständig in zu kleinen Booten auf dem bösen Meer unterwegs, Mutter gab es keine – vielleicht war “tot” aber auch nur ein Serien-Synonym für “durchgebrannt mit dem Tankwart”. Und Daddy? Daddy war ja selbst noch ein Kind. Die Lesart, dass hier eventuell ein schwuler Onkel mit zwei Boyfriends einen frühen Traum vom Leben abseits der bürgerlichen Kleinfamilie lebte, sollte mir erst später gelingen.
Lassie, wo alle brav waren, sogar der Hund stets frisch geföhnt, fiel nicht in mein Muster von der guten, weil kaputen Familie.
Jeannie, die wasserstoffblonde Irakerin zwinkerte sich augenblicklich in mein Fernsehleben und ebensoleicht gelang das Samantha, der nasewackelnde Vorstadthexe. Beide hatten mittlere Knallchargen als Männer und ein Pandemonium an Problemen mit ungläubigen Freunden, neugierigen Nachbarn und abgedrehten Familienmitgliedern aus anderen Dimensionen. Jeannie und Samantha dürften für meine Sozialisation als Künstlerin mehr gemacht haben als sämtliche Zeichenstunden.
Mister-French.jpgIn amerikanischen Serien konnte man überhaupt sehr viel lernen. Dass Türen – wie in „Lieber Onkel Bills“ poshigem Upper-Eastside-Apartment – keine Schnallen brauchten, Puppen Mrs. Beasley heissen durften und Löwen – wie in „Daktari“ – schielen konnten wie Fausto Radicci.
Deutschsprachige Serien hingegen waren verstaubt und belehrend. Wenn sie in Österreich gemacht wurden, zudem noch auf eine einschläfernde Art bürgerlich-folkloristisch. Das sollte mein zweiter Held nach Kasperl ändern.
„Mundl“, der Elektriker aus der Hasengasse im Zehnten war ehrlich und unverblümt und mit einer Präszision aus dem wirklichen Leben geschnitten, die mich spätestens dann schaudern liess, als mein eigener Dusl-Vater die Sylvesterrakete ins Fenster vom Flickschneider gegenüber feuerte und wie bei den Sackbauerschen zur Verdunklung aufrief.
Mag sein, dass sich anders sozialisiertes Publikum in den Laffites der „Lieben Famile“ wiederfand oder in Fritz Eckhardts Folie eines von Elfriede Ott umschwesterten Sacherportiers – mein Ideal einer proletarisch gebeutelten Famile verkörperten die Sackbauers mit Grandezza. An diesem Genre versuchten sich später auch „Al Bundy“, „Rosanne“ und die Familie von „Malcolm mittendrin“. Dem vorlauten Pelzwuschel „Alf“ werfe ich hingegen heute noch vor, seine Fadgas verströmende Gastfamilie nicht schon in der ersten Folge mit vergifteten Steaks um die Ecke gebracht zu haben.
Den Beweis, dass Grosstadtfamilien nicht notwendigerweise genetische Übereinstimmung brauchten, um mich aufs Sofa zu fesseln, sondern nur clevere Plots, realistische Settings und oblique Charaktere, sollten erst „Friends“ und der ungeschlagene Meister des zwerchfellbeschädigenden Serienvergnügens führen: Larry David in seiner Rolle als meschuggener Fernsehserienerfinder Larry David in “Curb Your Enthusiasm”. Kaputer war gescheites Fernsehen nie.

8 Gedanken zu „Serie gut, alles gut!“

  1. Lassen Sie mich einmal so beginnen:
    Wer dem Petzi „die Rampensau“ unterstellt, muss wohl auch dem Verdacht des Sodomisten beim „Kasperl“ Raum geben. Immerhin treibt er sich mal mit einem kleinen Bären (Petzi), mal mit einem Hund (Strolchi) und manchmal auch mit einem kleinen Buben (Seppl) herum (auch pädophile Züge?).
    Nun, Petzis Hintergrund ist kein Geheimnis. Er entstammt einer anständigen Familie (Familie Petz, – aus Rundfunk und Fernsehen bekannt) sprechender Bären mit intakter Familienstruktur (Papa, Mama, Opa, Oma…). Petzi ist ein Bub und als solcher natürlich naturgemäß lebhaft und zu Streichen aufgelegt.
    Was aber soll an einem Dahergelaufenen im Hanswurstkostüm (Kasperl) seriös sein? Der Typ mit der „Zipfel-“ (sic!)Mütze, der ständig in Begleitung von Tieren und kleinen Buben gesehen wird, ist unsteten Aufenthalts, von seiner Herkunft ist nichts bekannt. Eine „Frau Kasperl“ sucht man vergebens, es gibt keine Wohnadresse, keine Familie, keinen Beruf etc. – Und das brave Bürgertum applaudiert dieser Figur!
    Mit freundlichen Grüßen
    Noah

  2. Da werde ich doch gleich so fortfahren:
    In Kasperl gleich einen Sodomisten zu sehen, hielte ich für Übertreibung. Wir können uns aber darauf einigen, dass sich Kasperl und Petzi in einer schwulen Beziehung befinden, die streng pädophile Züge aufweist. Petzis Hintergrund ist bekannt, da haben Sie recht, aber Familie Petz als anständige Familie zu bezeichnen, wird uns nicht gelingen, denn Vater Petz arbeitet beim Zirkus und Petzi beim Fernsehen. Da ist nichts seriös und anständig, wie wir wissen. Da wird im Manegenrund gegaukelt, durch brennende Reifen gesprungen und allerlei Kalfakter getrieben. Vermutlich muss Mutter Petz am Ring in der Nase Polonaisen tanzen. Herr Kasperl mit dem saftigen Gemächt ist selbstverständlich nicht seriös. Einer Knallcharge wie Kasperl zu applaudieren, dürfen sie aber dem kindlichen mir (© Natascha Kampusch) nicht vorwerfen, ich war einzig an den kruden Wendungen der Geschichte interessiert. Als bürgerlich und brav möchte ich mich nicht bezeichnen, sonst hätte ich mich damals wie heute für die anbiedernde Nähe Kasperls zum Herrn Polizisten und seine standestechnisch bedenkliche Sympathie für das farblose Fräulein Prinzessin erwärmt.
    Mit unbürgerlichen Grüssen
    Comandantina

  3. Sie haben recht, beg äh verehrte Comandantina, Kasperl und Sodomie? – Diese Suppe ist zu dünn. Wie Sie richtig ansprechen, macht Petzis Familienhintergrund tatsächlich Sorge. Ein kleines Bärenkind, das im anrüchigen Milieu aufwachsen muss: Schausteller, fahrendes Volk, Zirkusartisten, Hasardeure, Prostituierte, Journalisten… – welche Traumata mag allein das Tanzen von Petzis Mutter in der Manege in der kleinen, zarten Bärenseele verursacht haben – wir können es nur erahnen. Die Bärenmutter in schwüler Zirkusatmosphäre, mit Nasenpiercing, in aufreizender Kleidung mit lasziven Bewegungen vor einem grölenden, lüsternen Publikum …
    Wie überhaupt die Familie Petz immer schon die Zuwanderungsproblematik verdeutlicht haben könnte. Bären sind ja schon lange nicht mehr wirklich heimisch in unseren Breiten. Es könnte sich also durchaus um Einwanderer aus dem Osten oder Süden handeln. Und ist nicht das scheinbar so harmlos klingende „Krawuzi kapuzi“ vom Petzi nicht doch verräterisch? Dem verschwörungstheoretisch geschulten Ohr entgeht dabei nicht die politische Botschaft! Der Eingeweihte weiß sehr wohl Petzis serbischen Hintergrund und den „harmlosen“ Ausspruch als saftigen Fluch zu erkennen. Die „Krawuzi“ können nur die Kroaten sein, – (Krawotn, – die Krawatte kommt ja noch davon, benannt nach den Halstüchern dieses Volkes) und „kapuzi“ ist nichts anderes als das verschleierte „kaputt“. „Kroaten kaputt“ wünscht also Petzi mit unschuldigem Blick jedes Mal, wenn er ahnungslose Kinder damit belustigt. Perfid.
    Und doch konnte die ausländische Bärenfamilie in unserem Land Fuß fassen und ihren Lebensunterhalt bestreiten. Hätte z.B. Bruno etwas Anständiges gelernt, wäre ihm wohl sein späteres trauriges Los erspart geblieben, – allein: die Jobs für Bären sind nicht gerade breit gestreut. Was uns auf die heutige Jobsituation in Österreich bringt. Warum nicht noch mehr Flexibilität zeigen? Warum nicht selber Unternehmensgründer werden? Einen Wanderzirkus z.B. Ich frage mich, wo sind die diesbezüglichen Ausbildungsangebote geblieben? AMS-Umschulungen auf Feuerschlucker, Jongleur, Stelzengeher, Zauberer, Clown, Seiltänzer u. ähnliche Alternativberufe fehlen zur Zeit völlig. Und auch beim Wifi vermisse ich die Ausbildungsoptionen für zukünftige Zirkusdirektoren. Statt dessen werden die Arbeitswilligen in langweilige EDV-Kurse gesteckt und enden mit Mausarm und flimmernden Augen in Jobs ohne Tageslicht. Sicher, es gibt überall Vorreiter, Pioniere wie z.B. Herrn Strache oder Herrn Westenthaler, die allein durch ihre Präsenz immer wieder darauf hinweisen, dass es genug einheimische Kasperln gibt und wir in diesem Bereich nicht auf ausländische Kräfte angewiesen sind.

  4. Geschätzter Noah,
    wenn wir davon ausgehen, dass uns Kasperl und Petzi aus einem Geschichtskontinuum entgegentreten, das den Mai 1945 als Stunde Null begreift, dass die beiden also Kinder der zweiten Republik sind, dann müssen wir die politischen und ethnischen Hintergründe auch im heutigen Bundesgebiet verorten.
    „Krawuzi Kapuzi“ müssen wir als slawisierende, aber keineswegs slawische Formel begreifen, die als Code gelesen werden will. Im heutigen Österreich gibt es nur zwei Bundesländer, in denen die Bevölkerung (oder Teile von ihr) slawische Sprachkenntnisse besitzt. (Von den Nachkommen der „Ziegelbehm“ in Favoriten und Meidling abgesehen.) Diese beiden Länder sind das Burgenland mit einer kroatischen Minderheit und Kärnten mit einem germanisierten Slawenstratum und einer slowenischsprachigen Minderheit.
    Ich biete nun diese These an: Petzi ist keineswegs Serbe, wie Sie postulieren, sondern vielmehr Spross einer deutschtümelnden, die eigenen slowenischen Wurzeln verleugnenden Kärntner Proletarierfamilie aus dem Bärenthal. Mangels Ausbildung und von der eigenen Geschichte abgeschnitten, verdingen sich deren Mitglieder beim Zirkus als Hilfsarbeiter. Sie haben sich – wie viele Kärntner slowenischer Abstammung – zu „treudeutschen“ Slawenhassern assimiliert.
    In Unkenntnis bürgerlicher Umgangsformen schmeisst sich der Jüngste der Familie, besagter Petzi an den Gelegenheitskabarettisten Kasperl an, den er für einen feinen Mann hält. Kasperl, dessen Personalausweis wohl auf Gasperl lautet, dürfte einer Familie aus dem Salzkammergut entstammen. Der Familienname Gasperl kommt in Bad Aussee vor, wo jeden Fasching Männer – sogenannte Flinserln – in buntbestickten Kostümen mit langen Hüten herumlaufen. (Der Familienname Gasperl (von Gasperi, Gaspari) kommt wie das beschriebene Kostüm über den Salzhandel aus dem Italienischen – die Figur des kasperartigen Weissclowns ist der Arlecchino (Harlekin), die venezianische Spielart des Hanswurst.
    Die Beziehungen des inneren Salzkammerguts zu deutschnationalen Kreisen in Kärnten sind nicht erst seit Haiders Exitus von Bad Goisern ins Bärenthal Legion. Wie Kasperl hat sich auch Haider stets als Schauspieler begriffen, sich gerne verkleidet und versucht, mit Hilfe von Polizei und aufgebrachten Bürgern die Welt zu retten.
    Aber zurück zu Petzi, dem „kleinen Wicht“ (… „fehlt auch heute wieder nicht“…). Der Familienname „Bär“ darf als angenommen betrachtet werden und muss noch in der Grosselterngeneration „Medved“ geheissen haben. „Krawuzi Kapuzi“ – „die Kroaten müssen kaput gemacht werden“ scheint Teil einer unglücklichen Immunisierunsstrategie zu sein, die die eigene Volksgruppe – absichtlich oder unbewusst – ausspart. Stattdessen werden die, seit der Monarchie als im Inland lebende Ausländer begriffenen „Krowotn“ dämonisiert.
    In Petzi einen BZÖ (Petzitö) – Anhänger zu sehen, der sich als Kofferträger für den rechtsradikalen Deutschnationalen Kasperl verdingt, sollte also nicht ganz falsch sein. Peter Westenthaler, einst „Schickbua“ von Jörg Haider, verkörpert diese Figur auch jenseits der Puppenbühne idealtypisch.
    Mit partisanesken Grüssen,
    Lang lebe die Revolution!
    Comandantina

  5. ¡Hola Señor Noah!
    Danke für Ihre ziselierten Komplimente, wir stehen doch alle nur auf den Schultern Grösserer. Ich besonders. Mit geballter Faust und frohen Sinnen springen wir aus dem Puppentheater in die Kasperlwelt der österreichischen Innenpolitik und verlangen nach dem Vorhang!
    Lang lebe die Revolution,
    Ihre Comandantina

  6. Salve, Comandantina,
    Ihre Replik ist ein derartiges Füllhorn an Weisheit und Information, dass man als sprachlich ungeschulter Laie nur mehr flachliegen kann. Die Slowenen-These, Petzi betreffend, halte ich für durchaus zutreffend, auch wenn zwischen Slowenen und Kroaten zumindest in der letzten Zeit weniger Ressentiments aufgebaut worden sind, – den einen oder anderen Meeresbuchtenstreit mal ausgeklammert. Nun, die Kroaten bezeichnen die Slowenen liebevoll mit dem deutschen Ausdruck „Jodelvolk“, was ihre Germanophilie ein wenig unterstreicht. Und für uns Österreicher gibt es Grund zur Freude und zur Verbrüder-/schwesterung, trifft uns doch der gemeinsame Musikgeschmack (ich sage nur „Oberkrainer“ und Slavko Avsenik) direkt am Trommelfell und lässt uns sprachliche Unterschiede durch den Polkarhythmus einfach vergessen. Zugegeben: Ernst Mosch und seine Original-Egerländer sind auch nicht von schlechten Eltern, aber es waren die slowenischen Musikgruppen, die unsere Volksmusik sehr stark beeinflusst und mitbestimmt haben. Bis dann Hubert von Goisern das Ganze neuerlich befruchtet hat. Aber das würde jetzt zu weit führen.
    Die Herkunft des Gasperl scheint mir auch sehr gut erklärt. Kasperl ist einheimischer Narr, deswegen lieben ihn die Leute. So wie sie einst Haider geliebt haben, der es allerdings mit seinen Streichen ein wenig zu tolldreist getrieben hat. Peter, „Westi“, Westenthaler, sein enger Mitstreiter, wurde von Jörg Haider öffentlich als „Struwwelpeter“ bezeichnet, unsere Justizminister mit „Boxenluder“ tituliert, – und wem ist nicht jener tränenreiche Sager mit „Susi, geh du voran“ in Erinnerung? Vorangegangen ist Susi mittlerweile ins politische Exil. Und ganz Österreich wartet auf Haiders nächsten, logischen Schritt.
    In der Meinung, das Kasperl-Petzi-Thema jetzt doch ziemlich erschöpfend behandelt zu haben, verbleibe ich
    mit geballter Faust und frohem Sinn
    Ihr für die neuen Erkenntnisse dankbarer
    Noah

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