Weblogs haben kurze Beine

Weblogs haben kurze Beine
Politiker entdecken die virtuellen Tagebücher als wahlkampftaugliches Kommunikationsmittel – eine Rundschau von Andrea Maria Dusl
Für ALBUM/Standard, Erschienen in der Printausgabe vom 26./27.8.2006
Was haben wir gelacht! Karl-Heinz in Windeln, Karl Heinz als pubertierender Unterstufler, mit Föhnfrisur und Gustav-Gans-Grinser. Karl-Heinz im Klettergeschirr, den Stephansturm besteigend. Karl-Heinz mit Wolfgang Schüssel, Bill Gates, Alan Greenspan und anderen Größen des internationalen Showgeschäfts. Und dann der Skandal, der uns das Lachen im Halse gefrieren ließ. Die seicht gemachte Homepage im HTL-Design soll so viel gekostet haben wie ein? Einfamilienhaus in Fürstenfeld? Düstere Wolken brachen über Schnitzellands Polit-Homepager-Szene herein. Die Koalition Politiker und Internet war nicht mehr mehrheitsfähig.
Ein Schock, von dem sich sogar der politische Gegner nicht erholte. SPÖ-Politiker machten lange Zeit weite Wege ums Internet, manche fürchten noch heute eine eigene Website wie der Teufel das Weihwasser.
Aber dann war Bundespräsidentenwahlkampf und es kam: wer, wenn nicht sie – Benito Ferrero-Waldner, wie sich Thomas Klestil selig auszudrücken pflegte. Die dauerlächelnde Außenministerin verblüffte Freund und Feind gestelzter Reden mit einem Wahlkampf-Weblog! In 101 Zungen parlant mit den Großen dieser Welt stieg Benita in die Wahlauseinandersetzung um das höchste Amt der Republik. Und schrieb jeden Tag ihre aufzehrenden Wahlkampf-Erlebnisse in ein schnittig gestaltetes Weblog. Bis zum Tag der Wahl.
Da floss der Traum von der Hofburg im Tränenbächlein Richtung Donaukanal. Und dann erfuhr das Publikum – ob durch gezielte Indiskretion oder ungezielte Selbstentblößung – dass der Weblog gar nicht von ihr war. Die Log-Einträge waren auf Band diktiert und von emsigen Mitarbeitermurmeltieren transkribiert worden. Ein Nono in der Bloggerszene! Ein Tagebuch lässt man nicht von Mitschülern schreiben.
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Das einzige Weblog eines österreichischen Politikers, das genreresicher auftritt und mit einer veritablen Community vernetzt ist, ist das des grünen Sicherheitssprechers. Das Archiv von Peter Pilz‘ Blog geht bis 2001 zurück, eine biblisch lange Zeit für ein Medium, das andere erst jetzt für die Politik entdecken. Pilz fährt einen klaren, nur mäßig verspielten Stil, schreibt seine Texte selbst und provoziert mit seinen Log-Einträgen durchwegs Leser- Kommentare im zweistelligen Bereich.
Die Pilzseite hat auch eine politische Babyklappe. In die „Pilz-Box“ können Beamte, Verschwörungstheoretiker, Mistkübelausleerer und andere Geheimnisträger anonym Dokumente und Informationen über den virtuellen Tresen schieben. Weil das Pilz’sche Fotoalbum das von Web-Jausengegner Grasser um Längen schlägt, wollen wir nur gute Haare an Pilzens Seite lassen. Ein Kapfenberger in Kuba ist allemal origineller als ein Klagenfurter am Kindergeburtstag.
Schnuckeliger, verspielter und auf eine sehr technische Art girliehaft ist ein anderes grünes Weblog. Marie Ringler, Kultursprecherin der Wiener Grünen und Rathaus-Prinzessin, hat als ehemalige Geschäftsführerin der Avantgarde-Internet-Community Netbase Pionierarbeit im Vernetzen hinter sich. Dass ein Weblog im Idealfall täglich mit Content gefüttert werden muss, um regelmäßige Besucher ans Blog zu binden, weiß Marie Ringler selbstverständlich. Wenn nicht gerade Sommerpause ist.
Gut im Bloggen sind die Grünen auch als Partei. Die Mutter aller Wahlkämpfe haben sie zur Internetschlacht ausgerufen und ein iPod-farbenes Weblog online gestellt, das urbane Bürgerkinder mit grünen Inhalten umschmeichelt. Kultursprecher Wolfgang Zinggl berichtet auf 20jahre.gruene.at/blog über seine ersten Würstel im Parlament, die ehemalige Grünenchefin Madeleine Petrovic über eine Pelztierpinkelei in Heinz Fischers präsidialem Parlamentsbüro, und Bundessprecher Alexander Van der Bellen quält sich Launiges über seine, durch Hainburg ausgelöste, SPÖ-Entfremdung ab.
Die proper gemachte Seite ist grafisch und navigatorisch state of the art und doch nur eine lose Sammlung streichelweicher Episödchen aus den ersten 20 Jahren Grünenpolitik. Richtig lustig sind die Podcasts mit historischen Belangsendungen der Grünen. 41 Tage vor der Wahl scheinen noch nicht alle Geschütze in Stellung gebracht. Intensivwahlkampf im Netz sieht anders aus.
Intensivwahlkampf im Netz hat ein bürgerliches Gesicht und einen seltsamen Namen: win06blog. Seit Ende Juli postet ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka auf www.oevp.at täglich salzige Kommentare zum politischen Tagesgeschehen. Das besteht in der Wahrnehmung des ÖVP-Kriegers und seiner Ghostwriter vor allem aus den Verfehlungen sozialdemokratisch inspirierter Penthousebesitzer, den wankelmütigen Umtrieben des eigenen Koalitionspartners, den Revoltegelüsten der Grünen und der Unpackbarkeit der Strache-Partei. Dass die eigene Mannschaft, vom Jahrtausendkanzler abwärts mit Goldstaub beworfen wird, dürfte die angesprochene Klientel nicht irritieren.
Die Idee mit den Weblogs hat Lopatka offensichtlich während seiner Besuche bei den US-Republikanern aufgeschnappt. Im Mutterland des Netzes gehört das politische Bloggen zum Tagesgeschäft. Ob texanischer Redneck-Sheriff, schwarze Senatorin aus Illinois oder schwuler Bürgermeister aus Kalifornien. Ohne Weblog geht heute gar nichts. Dass Politiker für das aufwändige Posten persönlicher Befindlichkeiten durchwegs keine Zeit haben und das Eintragen von Mitarbeitern und Redenschreibern vornehmen lassen, ist ein offenes Geheimnis und Betreibern privater Blogs schon aus exegetischen Gründen klar.
Der Vorwurf, mit seinem eigenen Blog so viel zu tun zu haben wie der Singvogel mit dem Kuckucksei, beschäftigt momentan die Bloggerszene Polens.
Warschaus Bürgermeister und Polens Ex-Ministerpräsidenten Kazimierz Marcinkiewicz von der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (der auch die beiden kartoffelgesichtigen Zwillingsbrüder Jaroslaw und Lech Kaczynski angehören) soll mit seinem Blog nach vier Tagen bereits 340.000 Besucher, beeindruckende 6200 Kommentare und den Platz eins aller Blogs der onet.pl-Plattform erreicht haben. Zahlen, die hier zu Lande utopisch wären.
Vor dem polnischen Blogwahnsinn verblasst auch Frankreichs prominentestes Politikweblog. Die Seite des französischen Präsidenten Jacques Chirac sieht selbst gestrickter aus, als sie wahrscheinlich ist. Nicht ohne komischen Beigeschmack die Blogroll der präsidentalen Seite: Neben politischen Habibis wie Alain Juppé empfiehlt Chirac auch die Seite? seines Ami Johnny Hallyday. Ganz dick ist die Freundschaft mit dem Rockbarden denn doch nicht, der Link führt ins Leere.
Dem Vorwurf, fremde Federn schreiben zu lassen, entkommen moderne Politiker nur mit dem neuesten Trend, dem eigenen Videopodcast. So ein Spielzeug hat sich jüngst die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zugelegt.
Wie Apples kultiges Abspielgerät iPod – das Gerät, für das Videocasts produziert werden – funktioniert, scheint bei den Webbastlern der CDU niemand so recht zu wissen. Fürs Logo der Video-Schnitzel posiert Angela Merkel vor einem koalitionsfarbenem iPod: Das Gehäuse ist schwarz, das zentrale Steuerrad aber rot.

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