metaphysics ::: Digitale Macht

Erschienen in .copy 26/2006

Mighty-Man-Cerne-Abbas.jpgDas Wort ist hart wie Stahl, flüchtig wie Nebel. Macht. Es riecht nach Lederfauteuils hinter dicken Polstertüren, nach Managerschweiss unter Armanituch, nach der süssen Würzigkeit echter Cohibas und dem Nussfurnier teurer Limousinen. Sein Klang oszilliert zwischen dem Seufzen einer unterschreibenden Mont-Blanc und dem animalischen Brüllen eines startenden Firmenjets. Macht kann vererbt sein, erkämpft, verteilt oder konzentriert. Sie kann Bürde sein und Droge. Jeder kennt sie. Viele fürchten sie, die meisten hätten sie gerne, und allen ist klar: Macht kommt vom Machen.

Falsch.

Macht kommt von Mögen. Zumindest sprachgeschichtlich. Vom Mögen, dem Möchten, etwas zu tun, ja etwas überhaupt tun zu können. Eine zerbrechliche Angelegenheit, wie wir sehen. Macht ist dem Können und dem Wollen näher als dem Machen, dem Tun. Das deutsche Wort „Macht“ – Vermögen, Herrschaft, Gewalt, Kraft, Stärke – kommt vom althochdeutschen „maht“, das neben den genannten Inhalten auch das Genital des Mannes beschreibt. Das Gemächt, wie man früher sagte. Das Gemächt, dessen Vermögen nur dann sichtbar wird, wenn „Mann kann“.

Macht nichts, wenn das im Englischen ganz anders ist. Macht heisst jenseits der Kreidefelsen von Dover nämlich force, power, might, sway. Pech. Auch might und power kommt vom Können. Letzteres kommt wie vieles jenseits des Ärmelkanals aus dem Altfranzösischen, vom poeir, po(v)oir. Pouvoir ist neben puissance noch heute ein französisches Wort für Macht. Alles zusammen entstammt dem lateinischen potere, fähig sein, können. Potere, von dem unser Wort Potenz kommt, jener, erst von Viagra in Misskredit gebrachte Begriff für die Spannkraft des Mannes.

Wie wir es drehen und wenden, Macht hat mit Männern und den genitalen Aspekten ihrer Virilität mehr zu tun, als es eine aufgeklärte und gleichberechtigte westliche Industrie-Gesellschaft vermuten liesse.

Kommt die Macht vielleicht aus einer anderen Ecke? Kommt Macht vielleicht von Magie? Vom Magier, vom Zaubermanager und rituellen Beschwörer? Der kommt nämlich über das lateinische magus und das griechischen mágos aus dem Persischen und bezeichnet ein Mitglied der medischen Priesterkaste, in der Folge aber auch den Traumdeuter, den Zauberer und Betrüger. Zugrunde liegt ein altpersisches magus, magusch, das den Namen der iranisch-medische Priesterkaste aus dem Stamm der Mager, oder Magier bezeichnet, die bei Herodot und Strabon als zoroastrische Sternkundige, Ärzte, Priester und Gelehrte gelten.

Obwohl es nahe läge: Magus hat nichts mit magis (lateinisch „mehr“) zu tun, aus dem über magister (der, der „Mehr“ ist) unser Meister, der englische Master werden sollte. Mächtige Magier sollen die Heiligen Drei Könige gewesen sein, genauer, „Magoi apo anatolôn“, Magier aus dem Osten, wie es beim Evangelisten Matthäus heisst. Aus Magiern wurden schnell Könige, denn mächtig, so die mittelalerlichen Exegeten, konnten wohl nur Könige sein.

Die deutsche Sprache kennt den Magier vor allem als Zauberer. Seine Bezeichnung hat er von einem Wort, das bei den Germanen noch taubra, taufra geklungen hat und das Schreiben einer magischen – einer mächtigen – Formel bezeichnete. Das Wort kommt vom teafor, dem Rötelstein, der gerieben jenes Rot ergab, mit der die Zauberer die in Stein geritzten Runen ihrer Zauber-Sprüche einfärbten.

Die Mächtigen von heute dürfen wir weniger in den Politikern als in der Kaste der Wirtschaftsmagier, der Manager, CEOs, Aufsichtsräte und Firmenbosse sehen. Sie zaubern an Kursen und Quartalsberichten herum, hexen Firmenmerger herbei und murmeln in stock exchange
parlance, der den ökonomisch Unkundigen wie schwarzmagisches Abrakadabra vorkommen muss.
Für meine Kolumne „metaphysics“ in .copy vom Juni/2006

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