metaphysics ::: Digitale Medien

Erschienen in .copy 25/März/2005

TI30-Book.jpgAls ich ins Gymnasium ging, in den Siebziger Jahren, in Wien, war alles noch anders. Analog. Auch wenn das damals niemand so nannte. Alles war analog. Radios hatten eine Röhre, Musik kam von zerkratzen schwarzen Scheiben und mathematische Berechnungen fanden auf einem seltsamen Gerät statt, das sich Rechenschieber nannte. Elektronengehirne, gross wie Einfamilienhäuser, waren zwar schon aus den Science-Fiction-Büchern ausgebüchst und hatten Amerikaner gerade erfolgreich zum Mond und wieder zurück gebracht, aber was ein Computer sein sollte, wusste damals noch niemand. Computergenies beschäftigten sich im Spätnachkriegs-Österreich nicht mit extraterrestrischen Expeditionen, sondern ausschließlich mit „EDV“, elektronischer Datenverarbeitung.

Um uns Schülerinnen und Schülern eine Vorstellung von dieser wundersamen Errungenschaft namens „EDV“ zu geben, brachte unser Mathematikprofessor eines Tages einen Streifen fahlgelben Plastiks mit, den er uns stolz als „Lochkarte“ präsentierte. „Das ist EDV, Schülerinnen und Schüler! Diese kleinen Löcher da. Diese kleinen Löcher, sie sind reine Information! Diese kleinen Löcher. Reine Information. Digitale Information.“ Wow! Information. Digital. Wow!

Aber wie ging das: „Digitale Information“?

Daß „ein“ gestanztes Loch den Wert „Eins“ repräsentierte, leuchtete mir noch halbwegs ein, aber daß „kein“ gestanztes Loch den Wert „Null“ darstellen sollte, blieb mir unerklärlich. Wie konnte etwas dargestellt werden, indem es nicht dargestellt wurde? Es war rätselhaft, aber es war digital. Und es hatte mit unserem Finger zu tun. Man konnte digitale Information mit einem Finger – lateinisch „digis“ – darstellen. Finger hoch: Eins. Finger runter: Null. Digital.

Auch was ein Medium ist, wussten wir. Ein Medium ist die Mitte. Die Mittte zwischen zwei Dingen, ein Träger von Jemandem oder von etwas, ein Mittler. „Medium“ hatte damals einen obskuren Unterton. Finger rauf, Finger runter – geschenkt. Aber Medium klang nach Geisterbeschwörung, nach halbgegrilltem Steak, nach Tabasco für Waschlappen. Das sollte so bleiben. Medium war halbgar und obskur. Kein guter Start für einen Begriff, in dem Fernsehen und Zeitungen Platz haben sollten, und auch noch Filme und Musik, Telefone und Computer und was die Weltraumindustrie noch an Zukünftigen in ihren Schubladen verstecken mochte.

Aus dem obskur-okulten Fingerzeigen und dem ungläubigen Staunen über elektronische Gehirne, die eine grössere Sardinenbüchse bis zum Mond steuern konnten, wurde bald handfester Alltag. Der erste digitale Freund, den wir hatten, hiess TI-30 und war ein goldbraun glänzender Taschenrechner von Texas Instruments, der – niemand nahm es wunder – aus dem Mondfahrerstaat Texas kam. Silicon Valley war da noch eine Pampa.

Kaum war das digitale Rechnen Teil unseres analogen Denkens, kaum war 12:30 dasselbe wie halbeins, schaffte Phillips die Schallplatte ab und ersetzte sie durch Karajans CD. Kaum zu glauben: Auch Jimi Hendrix, gerade noch auf einer zerkratzten Vinyl gehört, fidelte glasklar, ein wenig zu klar von der silbernen Scheibe. Voodoo Chile, Red House, Hey Joe: Alles in Eins und Null. Und so sollte es weiter gehen.

Ein Gerät nach dem anderen wurde digital. Die Telefontastatur, der Anrufbeantworter, das Autoradio, das Videoband, die Heimorgel. Alles eins oder Null, alles Zeigen oder nicht Zeigen, alles Medium. In der Mitte. Zwischen uns und wem anderen.

Und dann kam Apple und Microsoft, Quark-X-Press und Photoshop, die DVD, die Digitalkamera, die elektronische Motoreinspritzung, Lara Croft und Myst, Satelliten-Receiver und der Klingelton, CNN, das Internet und der Download. Die Volldigitalisierung der Welt.

Digitales Medium. Was war das schnell noch mal? Ach ja. Irgendwas in der Mitte, kurz nach der Mondlandung. Ein Zeigefinger und halbgare Gespräche mit Geistern.

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